Seine Geschichte begann mit einem Lost-Place-Video, bei dem aus den oberen halb eingestürzten Etagen einer einst prächtigen Villa aus dem vorletzten Jahrhundert eine Ziege durch ein Loch nach unten schaute. Wir fuhren hin. Und trafen gleich beim ersten Mal auf die scheue Ruinen-Ziege, die dort „mutterseelenalleine“ wohnte. Und ein wirklich sicheres Örtchen gefunden hatte mitten im Wolfsgebiet. Vermeintlich sicher, denn bei jeder Bewegung in der Ruine hätten weitere Teile der alten Villa einstürzen können. Das machte die Sache mit dem Plan, wie es gelingen könnte, die Ziege zu retten, nicht einfacher.
Vermisstmeldung für eine Ziege gab es in dem Bereich keine. Beim Ordnungsamt hatte man nur vor längerer Zeit mal gehört, da sei eine „herrenlose“ Ziege ansässig. Für „längere Zeit“ sprachen dann auch die eindeutigen Ziegen-Spuren in einer der oberen Einsturz-Etagen, die wir in der Zeit fanden, wo wir uns heranpirschten an die verlorene Ziege. Die Idee, den jungen Herrn irgendwo im Haus in eine Falle locken und einfangen zu können, verwarfen wir aus Sicherheitsgründen und aufgrund der Tatsache, dass die alte Villa über gefühlte 1327 Fluchtlöcher verfügte, gleich beim ersten Besuch. Also Plan B: sein Vertrauen finden. Wir fuhren täglich hin. Brachten Essen, Wasser und Zeit mit. Was die Lost-Place-Ziege so interessant fand, dass wir „Fangversuchsübungen“ machen konnten. Übungen mit Keksen und Halsband, ohne dass Mensch sich dabei bewegt.
Genau das fruchtete. Und nach etwas mehr als einer Woche und etwa 500 gefahrenen Besuchs-Kilometern saß er dann bei uns im Auto und heißt jetzt Johannes von Jessenitz.
Wir forschten schon vorher, ob irgendwo wer sei, der „Anspruch auf ihn erhebt“. Aber die Grundstücksbesitzerin hatte keine Ziege, war selbst ewig nicht mehr dort. Das Grundstück war seit langer langer Zeit „lost“. Nicht in irgendjemandes Nutzung. Auch das in die Nachforschung einbezogene Veterinäramt kam nicht weiter, trotz der Tatsache, dass Ohrmarken an Ziegen eigentlich „eindeutig“ sein müssen – also zweifelsfrei „Besitzer“ nachvollziehbar ausfindig zu machen sein sollten bei jedem Tier. Das Einzige, was herauszufinden war, war der Ort seiner Geburt: ein „Bio-Milchziegenbetrieb“ im Norden, in dessen Besitz er aber nicht mehr war: männliche „Milchziegen“-Ziegenlämmer werden entweder sehr schnell innerhalb der ersten Lebenswochen verkauft oder geschlachtet (oder beides…). Was wann nach seiner Geburt geschah, wann und wieso er zur Lost-Place-Ziege wurde, blieb unklar. Klar ist: Johannes von Jessenitz ist jetzt im Land der Tiere, in Sicherheit, mit Gesellschaft.
12. November 2025


