Liebevolle Erinnerungen

An dieser Stelle möchten wir unserer ehemaligen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner gedenken. Danke, dass wir euch ein Stück eures Weges begleiten durften. Wir werden die Erinnerung an euch immer in unseren Herzen tragen.

Puter Georg im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

Frau Lehmann

Abschied von Frau Lehmann. Unmittelbar vor den Tag, der ihr zweiter Rettungstag gewesen wäre.

Eier. Eier legen, dafür wurde sie gezüchtet. Dafür sollte sie nach einem Jahr des Legens geschlachtet werden: weil sie körperlich am Ende ihrer Kräfte war vom vielen Eierlegen. „Ganz normal“. Wird einfach so hingenommen, dass Jahr für Jahr viele Millionen „Legehennen“ wie sie verbraucht werden, leiden, sterben.

Als die Lehmanns genau zwei Jahre zuvor ins Land der Tiere kamen, waren sie zerfledderte, traurige, fast nackte, kranke Hühner, die über ein Jahr lang in Kafighaltung gelitten hatten. Und „normalerweise“ im Schlachthof geendet wären. Zu sechst kamen sie, alle mit großen gesundheitlichen Problemen. So großen Problemen, dass wir nicht einmal davon ausgehen könnten, dass sie die Zeit, wo sie endlich nach draußen gehen können würden, überhaupt noch erleben.

Alle Lehmanns bekamen einen bunten Ring um ein Bein, bis auf eine. So viele verschiedene Farben hatten wir nämlich nicht. Frau Lehmann ohne Ring war von Anfang eine der kritischsten Patientinnen. Sie erlebte die Zeit, wo alle Lehmanns endlich nach draußen konnten. Endlich mit Himmel über dem Kopf herumspazieren, die Sonne auf den langsam wachsenden Federchen spüren, Sandbäder nehmen, unter Bäumen herumscharren und danach an einem schönen Fleckchen ein Mittagsschläfchen machen konnten. Anhand ihrer Ringe konnten wir auch von der Ferne beobachten, wie es allen ging, welche Patientin grade besonderer Aufmerksamkeit bedurfte.

Frau Lehmann ohne Ring hatte immer wieder gute und schlechte Phasen. Litt unter anderem unter „Legedarmproblemen“, Schichteiern, anderen Krankheiten, die sie der Tatsache zu verdanken hatte, als „Turbolegehenne“ gezüchtet worden zu sein. Irgendwie schaffte sie es immer mit medizinischer Hilfe, sich doch wieder zu erholen. Mehrfach überlegten wir, sie einschläfern zu lassen in schlechten Phasen. Aber dann zeigte sie wieder klar: es ist noch nicht so weit. Und nahm sich wieder eine kleine gute Zeit mit.

Diesmal hatte sie keine Chance mehr. Das einzige, was wir noch für sie tun konnten, war ein friedlicher Abschied in der Tierarztpraxis.

Adieu, Frau Lehmann ohne Ring.

Jolanda

Keine 4 Monate alt sollte Jolanda werden. Jetzt hat sie über 4 Jahre daraus gemacht.

Jolanda entdeckte vor vier Jahren jemand in einer Putenmastanlage. Die Masthalle war voller Putenhähne, dazwischen zwei viel kleinere weibliche Puten, versehentlich dort. Nach dem Schlüpfen „falsch gesext“, das kommt vor. Normalerweise werden weibliche und männliche Puten hierzulande getrennt geschlechtlich gemästet, wegen der unterschiedlichen Gewichtsentwicklungen und unterschiedlicher „Mastdauer“.

Überhaupt gibt es hier wenige weibliche „Mastputen“: weil sie längst nicht das „liefern“, nämlich kiloweise Brustfleisch pro Tier, werden bevorzugt Putenhähne gemästet. Die Putenhennen, für die es kaum einen Absatzmarkt gibt, werden meist als Küken exportiert – oder gleich nach dem Schlüpfen in den Brütereien getötet, weil ihre Mast unprofitabel ist.

Nach 16 Wochen ist eine Pute wie Jolanda „ausgemästet“ und wiegt dann knapp 11 Kilo, wenn sie im Schlachthof landet. Jolanda hätte wahrscheinlich so lange gar nicht überlebt. Nicht zwischen tausenden pubertierenden Hähnen, aggressiv durch ihre furchtbaren Lebensumstände in der Mastanlage.

Jolanda und die andere weibliche Pute wurden befreit. Wahrscheinlich hat es nicht mal jemand bemerkt. Außer Jolanda und ihre Freundin Jasmin, für die es das Leben bedeutete. Und uns, die wir seit dem Tag mit ihnen zusammen waren. Versuchten, die Leben dieser beiden noch so jungen und gleichzeitig so kranken Puten zu retten. Es dauerte lange, bis sie soweit gesund waren, raus zu können und eine echte Überlebenschance hatten.

Es wurde das perfekte Glück. Jahre des Pute-sein-Könnens. Jolanda wurde zusammen mit Jasmin erwachsen – und mit zwei fast gleichaltrigen Putenhähnen. Die vier waren so wundervoll miteinander, „Geschwister“ voller Energie. Und machten einfach das, was Andere ihnen versagen wollten: Leben. Viel Freude, viel Ernstes, viel Kommunikation, viel zu tun. Viel Zusammenhalt.

Der Abschied von den Jungs, die irgendwann starben, weil ihre Genetik und ihre schweren Körper sie umbrachten, war schwer für Jolanda und Jasmin. Ihr großer toller Freund Claudius, der für einen Puter ein enorm hohes Alter erreichte und dann irgendwann doch vor seinen Knochenproblemen kapitulieren musste. Sie waren bei ihm. Lagen neben ihm, als er nicht mehr aufstehen konnte. Und waren unfassbar traurig, als er nicht mehr da war.

Auch Jasmin und Jolanda merkten wir irgendwann ihr „biologisches Alter“ an. Als Jasmins Hüfte anfing, Probleme zu bereiten und sie dann noch einen Unfall hatte, dachten wir, Jolanda wird die letzte Überlebende der vier Befreiten. Und dann fing Jolanda an, zu humpeln. Der Fuß schwoll. Das Röntgenbild zeigte keine Fraktur.

Wir wussten, wie es weitergehen würde, auch wenn wir es an keinem Tag wahrhaben wollten. Es fängt mit einem Gelenk an. Dann das nächste. Dann die andere Seite wegen der Fehlbelastung. Dann die Hüfte. Dazwischen viel am Ende sinnlose Hoffnung, das Problem durch OPs und Medikamente lösen zu können.

Wir haben erst kapituliert, als Jolanda aufgab.

Adieu, Jolanda.

Bärt

Wir waren uns sicher: wir leben noch mindestens 10 Jahre zusammen. Und die Brüder Bärt und Ärnie können miteinander alt werden.

Als Ärnie vor einigen Monaten so furchtbar krank wurde, war Bärt, sein großer, starker Bruder, derjenige, der immer an seiner Seite war. Ärnie war monatelang sehr krank, hoffnungslos eigentlich. Und überlebte entgegen aller Prognosen. Wurde wieder gesund.

Bärt wurde im März 2020 im Land der Tiere geboren, das Leben seines Bruders Ärnie stand schon da einmal auf der Kippe. Ihre Mutter Bärta retteten wir schwanger – ohne davon zu wissen – aus dem, was man „Messi-Haltung“ nennt: ein Haufen Müll und Matsch, dazwischen viele Tiere, „betreut“ von Menschen, denen längst alles entglitten war, sofern sie überhaupt jemals etwas im Griff hatten. Den Tieren ging es übel. Eine davon: Bärta, Bärts Mutter, die immer „Nutztier“ war. Lämmer bekommen musste, Lämmer die ihr weggenommen und geschlachtet wurden, sie lebte als „Milchziege“, musste „Milch geben“ für Menschen. Eine Mutter, die immer unterm Existenzminimum klarkommen musste. Nie ungestörtes Familienleben hatte. Deren Leben geprägt war von Gewalt, Entbehrung, Vernachlässigung.

Bärta wurde ihren Jungs eine wundervolle Mutter. Ihre Geduld mit den beiden Quatschmachern war unendlich. Denn natürlich haben die beiden vor allem das getan, was junge Ziegen eben machen: zusammen herumzuspringen, „Dinge zu erfinden“ und sich absolut auf Mamas gute und liebevolle Aufsicht verlassen zu können, hat aus Ärnie und Bärt zwei fantastische Jungs werden lassen. Beide so ganz verschieden und trotzdem „Eins“. Ihre Wege trennten sich nie. Und auch die Beziehung zu ihrer Mutter wurde beim Erwachsenwerden nicht loser. Eher noch enger.

Bärt war immer der starke, große Bruder. So ein Typ, bei dem niemand daran denkt, dass ihn irgendetwas umhauen könnte. Ganz im Gegensatz zu seinem zarten Bruder, der jetzt schon mehrfach beinahe gestorben wäre, dem man seine Zerbrechlichkeit sozusagen immer schon ansah. Vor allem, wenn er neben dem kernigen Bärt stand. Oder beide zusammen ihren liebevollen Quatsch machten.
Uns wäre nie in den Sinn gekommen, dass Ärnie derjenige sein würde, der seinen Bruder überlebt. Als Bärt vor ein paar Tagen nicht so ganz auf der Höhe war, dachten wir an nichts Dramatisches. Der herbeigerufene Tierarzt und wir waren zuversichtlich, dass Bärt bald wieder fit sein würde. Aber Bärts Zustand verschlechterte sich, so dass wir mit ihm in die Tierklinik fuhren. Immer noch voller Zuversicht. Nicht mit der Angst, dass Ärnie seinen Bruder nie wiedersehen würde.

Bärt starb kurz darauf in der Tierklinik. Seine Familie und wir werden noch lange brauchen, um zu verstehen, dass er nicht mehr wiederkommt.

Adieu, Bärt.

Mausi

Es war so etwas wie „Liebe auf den ersten Blick“.

„Mausi wird ihren Platz bei uns haben“, das war vor einigen Monaten die Antwort auf die Anfrage eines Pferdehofes nach der Aufnahme mehrerer Tiere von dort. Der Pferdehof-„Streichelzoo“ sollte aufgelöst werden, nachdem es Ärger mit dem Veterinäramt gegeben hatte. Mausi fand ihren Platz im Land der Tiere. Und es war so etwas wie „Liebe auf den ersten Blick“.

Schon vor Mausis Einzug war klar, dass das einzige, was wir an ihrer Aufnahme bereuen würden die Tatsache war, sie nicht viel früher kennengelernt zu haben. Sie kam als uraltes, unfassbar liebes, vertrauensvolles Schäfchen in sehr vagem Gesundheitszustand. Klapperdünn, von Parasiten geschädigt, mit Kehlkopf- und Lungenentzündung. Wahrscheinlich war das nur ein Bruchteil ihrer Erkrankungen und körperlichen Baustellen, das Offensichtliche.

Mausi war eine sehr geduldige Patientin. Vielleicht auch aufgrund der Tatsache, dass es etwas in Mausis Leben gab, was ihr fast das Wichtigste war: menschliche Gesellschaft. Und Kekse, Kuscheln, zusammen Spazierengehen. Auch als sie endlich soweit „stabil“ war, dass sie ihr Krankenlager verlassen und zu den anderen Schafen umziehen konnte, blieb Mausi sich treu. Es interessierte sie nicht sonderlich, wo die anderen Schafe hin spazierten. Es interessierte sie, wo der nächste Mensch unterwegs sein könnte. Längst nicht nur wegen der Kekse.

Mausi hat unbekannt lange Zeit als Einzelschaf gelebt, bevor sie ins Land der Tiere einzog. Und in ihrem langen Leben offenbar gute Menschenkontakte gepflegt. Was dann irgendwann schiefging, wahrscheinlich werden wir es nie erfahren.

Erfahren haben wir ihr Vertrauen, ihre Geduld, ihre Anhänglichkeit, ihre Gewitztheit, hinter irgendeinem Busch zu warten, bis ein Mensch die Wege längskommt. Jemand, mit dem sie dann einfach mitging. Niemand kam ohne Extra-Mausi-Streicheleinheit vorbei, das war unmöglich. Und tatsächlich haben wir uns manchmal gefragt, ob sie nicht bei den Schafen wieder ausziehen und in eine unserer Betriebswohnungen einziehen sollte.

Wenn die Zeit gereicht hätte, vielleicht wäre es so gekommen.

Mausi starb, wie es zu ihr passte: Mit Streicheleinheiten und einem letzten Extra-Keks, nachdem ihr Körper innerhalb weniger Tage noch weiter abgebaut hatte und wir nichts mehr tun konnten, als bei ihr zu sein.

Adieu, Mausi.

Gesa

Als wir Gesa vor sechs Jahren kennenlernten, saß sie in der „Küchenvoliere“ eines Tierparks, wo „vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen“ gehalten und gezüchtet werden. Nicht um ihrer selbst wegen, sondern „natürlich“ als „Nutztiere“. In die Küchenvoliere wurden die Vögel aussortiert, die aufgrund von „Farbfehlern“, die dem „Rassestandard“ widersprachen oder wegen anderen Besonderheiten als „nicht erhaltenswert“ galten. Gesa saß zwischen unzähligen andern Aussortierten, auf die nur Eins wartete: die Schlachtung und Verarbeitung im Tierpark, wo sie dann auf der Speisekarte der tierlieben Gäste gelandet wäre.

Gesa zog zusammen mit Josefine ins Land der Tiere ein. Beide waren fast noch Küken – und leisteten ab da dem alten Herrn Gustav Gesellschaft. Eine bessere weise Putenaufsichtsperson, so einer, der alles weiß und gut aufpasst, hätten sich beide kaum aussuchen können.

Gesa war von Anfang an die Sanfte. Im Gegensatz zu Josefine, für die „Krawallmachen“ zum Tagesgeschäft gehört. Gesa vermied es immer, in Stänkereien zu landen, egal ob mit Josefine oder den Nachbarinnen. Ging lieber weg und ließ es nie eskalieren. Für diesen Part in der Gruppe gab es ja auch schon eine: Josefine.

Gesa war nicht nur die Sanfte. Sie war die Freie. Als leichte Pute war sie natürlich flugfähig – und wir sperren ja keine Vögel in Volieren, damit sie sich nicht selbständig machen. Sondern vertrauen darauf, dass sie wissen, was sie tun. Gesa konnten wir vertrauen. Sie war ständig unterwegs im Land, ging auch gerne mal die entfernteren Nachbarn besuchen (und dem alten Herrn Gustav fremd, was der aber nie erfahren darf). Wenn sie dann abends, manchmal mit menschlicher Begleitung, manchmal ohne, wieder nach Hause kam, gab es in aller Regel erst einmal einen Rüffel von Josefine. Josefine hasste es, wenn Gesa weg war und auf ihr Rufen nicht reagierte. Da sie aber – obwohl sie es kann, weil flugfähig! – ganz anders gestrickt, eher häuslich ist, nie mit Gesa zusammen auf Tour ging, hat sie vieles verpasst, aber musste immerhin nie ihren Chefinnenposten verlassen. Prioritäten.

Wenn Gesa sich auf den Weg machte, ging es meist um eins: die Suche nach dem perfekten Nest für ein Ei. So ein Nest, das niemand findet. Wir waren oft der Verzweiflung nahe, wenn wir nachmittags mit allen verfügbaren Menschen im Land loszogen, um ihr Nest und damit sie zu finden. Nur eine Nacht draußen hätte tödlich sein können, wenn ein nächtlicher Räuber sie gefunden hätte. Einmal in sechs Jahren fanden wir sie nicht. Und was am nächsten Tag geschah, es war: Gesa. Gesa, die ganz aufgeregt angelaufen kam morgens. Sie war außer sich. Rannte Richtung nach Hause. Im Schnabel trug sie ein Ei mit sich, ein kaputtes Ei, wahrscheinlich hatte ein Marder es gefunden. Gesa rannte mit dem zerstörten Ei durch die etlichen Tore, die wir ihr öffneten, nach Hause, um das Ei in ihrem Zimmer in Sicherheit zu bringen. Und zog es dann erstmal vor, mit Josefine das Nest im Zimmer zu hüten.

Gesa hat seit diesem Frühjahr keine Eier mehr gelegt. Wie ein alternder Vogel, dessen maximale Eierzahl erreicht war. Trotzdem hätten wir nie damit gerechnet, dass sie so plötzlich abbaut und stirbt, ohne dass wir noch irgendetwas hätten für sie tun können.

Adieu, Gesa.

Abschied von Archie Ostermann

Eine alte Kaninchenregel besagt: gibt es zwei Tage in Folge ein Leckerli aus Menschenhand angereicht, ist damit ein Ritual geschaffen, dass niemals wieder gebrochen werden darf. Und wer sind wir, die alte Kaninchenweisheiten in Frage stellen würden?

Was wegen einer akuten Behandlung begann, wurde also bei Herr und Frau Ostermann und ihren Söhnen Teil der festen Morgenroutine: nach dem Frühstück noch ein kleines Leinküchlein abholen und dann ab auf die Wiese. Nur Archie Ostermann sah das anders und blieb sitzen. Das menschliche Putzpersonal fing an den Stall zu fegen, Archie saß meist oben auf der Kaninchenbude und beobachtete das Treiben, wartend… Und ab da hieß es: durchhalten! Vorsichtig um Archie herum putzen, bloß keinen Augenkontakt herstellen, denn sein hellwacher, entschiedener Blick ließ wenig Verhandlungsspielraum.

Seine energisch tapsenden Vorderpfötchen und zarten Nasenstupser, seine frechen Blicke und seine Hartnäckigkeit werden ab nun fehlen, denn vor einigen Tagen hat Archie sein letztes Leinküchlein gegessen und kam schon nicht mehr, um für ein zweites oder drittes anzustehen.

Als Sohn von zwei Schecken war er, wie alle aus der Familie Ostermann, genetisch gesundheitlich vorbelastet, was dem „Vorbesitzer“ von Herrn und Frau Ostermann so ziemlich egal war, der die beiden bei seinem Auszug auf dem Grundstück zurück und sich selbst überließ.

Archie ist mit 6 anderen Geschwistern im Land der Tiere zur Welt gekommen und gehörte leider zu denen, die immer wieder mit genetisch bedingten Verdauungsproblemen zu kämpfen hatten. Seine Lebenserwartung hat er um Weiten getoppt, aber dieses Mal konnten wir leider nichts mehr für ihn tun, als ihn letztlich einschläfern zu lassen, weil sein Verdauungstrakt alle Funktionen komplett eingestellt hatte.

Als kleiner Eigenbrötler, der bei Wind und Wetter auf der großen Wiese meist allein sein Ding gemacht hat, war es umso schöner zu sehen, dass er sich am Tag seines Versterbens noch eine ganze Weile beim Bruder anlehnen konnte, der sich neben ihn gelegt hatte.

Archie hatte innerhalb der Familie Ostermann für uns alle eine sehr spezielle Rolle, denn er war der Grund, warum sich die Familie zahlenmäßig vor zwei Jahren mehr als verdoppelt hat. Er hatte uns hinsichtlich seines Geschlechts bzw. seiner Zeugungsfähigkeit alle etwas verar**t (daher sein Name, mit Augenzwinkern versteht sich).

Rein äußerlich war Archie „ganz eindeutig ein Mädchen“. War er aber nicht, sondern ein Junge mit anatomischen Besonderheiten, die sein wirkliches Geschlecht nicht verrieten und ihn aussehen ließen wie ein Mädchen: die Hoden innenliegend, sein Geschlechtsteil ein „Spaltpenis“.

Ein Jahr lang war er für uns ein Mädchen. Nach einem Jahr dann plötzlich nicht mehr – und zeugungsfähig. Für uns eine Riesenkatastrophe. Für Archie, seine Geschwister, seine Kinder und für Herr und Frau Ostermann, mit denen alles anfing, ganz einfach Familie. Familie, wo jetzt jemand fehlt.

Adieu, Archie Ostermann.

Abschied von Melone

Eigentlich leben Perlhühner in Afrika, als freie, wilde Vögel – und dort begann auch ihre heutige Nutzung und Zucht als „Fleischlieferanten“. Es entstanden „Mastperlhühner“, viel schwerer als ihre wilden Vorfahren, manche so schwer, dass sie nicht einmal mehr fliegen können wie echte Perlhühner.

Melone, die im Juni 2020 als Küken ins Land der Tiere einzog, war ein solches „Mastperlhuhn“. Wurde gezüchtet, um nach kurzer Mast als „Delikatesse“ auf irgendeinem Teller zu landen. Geflogen ist sie nie. Auch wenn sie Menschen in ihrer Nähe nie besonders mochte, hob sie nicht ab, sondern brachte sich zu Fuß aus deren Einzugsbereich. Und falls es jemand wagte, ihrem Nest zu nahe zu kommen, dann gab es Ärger. Lauten Ärger! Und mit Unterstützung ihrer beiden Mitbewohner Hütchen und Calimero wurde jede potentielle Gefahr vertrieben: mit lautstarkem Perlhuhngeschrei.

Schwere Perlhühner leiden leider häufig wie andere als Masttiere gezüchteten Vögel unter körperlichen Problemen. Bekommen oftmals Hüft- und Beinprobleme. Als Melone irgendwann anfing, sich zu schonen, weniger zu laufen und humpelte, war es sehr naheliegend, dass sie nun genau dieses Problem einholt. Unsere medikamentösen und tierärztlichen Behandlungsmöglichkeiten waren sehr eingeschränkt. Denn als Perlhuhn war auch Melone nicht wirklich „domestiziert“ – und ihr zu nahe zu kommen einfach nicht erlaubt.

Denn in ihrem Kopf hatte Melone alles, was ihre wilde Verwandtschaft auch hat: den Wunsch frei zu sein, zu leben, mit der Familie herumzuziehen, zu singen, zu schimpfen. Was sie seit über vier Jahren im Land der Tiere konnte und tat – bis auf die Einschränkungen, die ein Leben in Gefangenschaft mit sich bringt. Als wir Melone das erste Mal einfingen, um herauszufinden, was ihr schlechtes Laufen verursachte, schimpfte sie viel. Eine eingehende Untersuchung war kaum möglich aufgrund ihrer massiven Gegenwehr. Nur zwei Tage später saß sie im Nest im Perlhuhnhaus, hatte auch dort geschlafen. Und sie schimpfte nicht. Ein furchtbar schlechtes Zeichen.

Als wir sie dann untersuchen konnten, wurde das Problem offensichtlich. Der Tumor, den wir im unteren Bauchbereich fanden, beendete wenige Stunden später ihr Leben.

Adieu, Melone.

Abschied von Pogo

Wo Leben ist, ist auch der Tod. Und wer einzieht, stirbt in aller Regel auch hier. Bestenfalls nach einem langen, aber vor allem glücklichen Leben.

Pogo wurde in einem privaten Maststall geboren, in einer versifften Kaninchenbucht, wo es keinen Platz zum Leben gab. Leben, das war eh nicht vorgesehen für einen wie ihn. Kaninchen wie Pogo erwartet „normalerweise“ ein kurzes Leben hinter Gittern, ein paar Monate bis zu „Schlachtreife“.

Pogo, seine Mutter, seine Geschwister, sein Vater und der Rest der Familie hatten das unglaubliche Glück, dass ihr Besitzer krankheitsbedingt irgendwann nicht mehr nach Hause kam. Das und der glückliche Umstand, dass sich völlig fremde Menschen dann um die Kaninchen des alten Herrn kümmerten, machte den Weg frei für sein Leben. Ein echtes Kaninchenleben.

Pogo kam zusammen mit seinen Brüdern und seinem Vater und dem ganzen Rest der Familie zu uns, zum „Rest“ gehörten auch seine viel jüngeren Geschwister, die noch Babys waren. Bis alle zusammenleben konnten, verging eine Zeit. Zusammensein als Familie, das ist nie Praxis in Kaninchenmastbuchten, da sitzen die Kaninchen einzeln nebeneinander in ihren kleinen Käfigen. Als wir sie alle zusammentun konnten, war es so, wie es sein sollte: eine Kaninchenfamilie.

Mit den anderen kuscheln, rumflitzen, streiten, buddeln, chillen, leckeres Grün wegknabbern, draußen sein können, ein fast freies und trotzdem behütetes Leben führen, das war Pogos Ding. Schlitzohr Pogo, der nach Streitigkeiten mit einem seiner Brüder im jugendlichen Alter einen Schlitz und ein „Piercing“ im Ohr hatte. Danach war die Familienordnung allerdings geklärt. Die einer absolut großartigen Familie.

Vor ein paar Wochen fing es an. Pogo hatte körperlich abgebaut. Ursache: unklar. Die erste Vermutung, ursächlich könne ein Zahnproblem sein, bestätigte sich beim Check in der Tierarztpraxis nicht. Röntgen unauffällig, Blutwerte schlecht. Keine Parasiten. Pogo aß und aß, und erst sah es so aus, als ob es nicht hoffnungslos sei. Doch er baute weiter ab, eine Lähmung kam dazu.

Pogo lebte, liebte und starb im Kreis seiner Familie.

Adieu, Pogo.

Abschied von Lama

Es hätte der Beginn ihres neuen Lebens sein sollen. Aber es war einfach zu spät.

Ihre Mastitis konnten wir behandeln. Den Befall mit Lungen- und Magen-Darm-Würmern stoppen. Ihre Füße behandeln. Aber nicht mehr die Ursache beheben, die ihren ganzen Körper unter Wasseransammlungen setzte. Wir hatten keine Chance, Lama zu retten. Lama, die doch grade erst eingezogen war.

Lama kam Ende August zusammen mit Frau Lienchen und Schaf Mausi, sie waren Teil eines „Steichelzoos“ auf einem Reiterhof, der mitsamt Tieren irgendwann verkauft wurde. Sie und die anderen „Streichelzoo“-Tiere kamen vor Jahren als „Geschenke“ dort hin, daher ist nicht überliefert, wie alt sie bei ihrem Einzug ins Land der Tiere waren. Vielleicht zwischen acht und zwölf Jahren, vielleicht auch älter. Vor ein paar Wochen verließen sie den Hof, nachdem es Ärger mit dem Veterinäramt gegeben hatte, und zogen als Patientinnen ins Land der Tiere ein.

Alle brachten gesundheitliche Probleme mit. Lama muss über Jahre mit einer Euterentzündung gelebt haben, dazu Parasiten, Lungen- und Magen-Darm-Würmer, hatte Fieber, als sie kam, und einen verdächtig dicken Bauch. Heute ist klar: Wasser im Bauch und zwischen allen Organen. Und dann in der Lunge.

Lamas Zustand verschlechterte sich dramatisch schnell. Und am Ende war alles, was wir taten, um sie zu retten, vergeblich.

Adieu, Lama.

Abschied von Ramona

Wie oft haben wir seine Geschichte erzählt. Erklärt, warum der alte Herr Ramona heißt. Dass kein anderer Name besser zu ihm gepasst hätte als eben „Ramona“. Das merkten alle, die ihm begegnet sind. Ramona, Typ „ganz zartes Wölkchen“.

Weihnachten 2018 zog er als elfjähriges Schaf ins Land der Tiere ein. Ramona, der sein Zuhause verlassen musste, weil der Hof aufgelöst wurde. Er war das letzte überlebende Schaf dort, seine Menschen ratlos, was mit ihrem einstigen Flaschenlamm passieren sollte. Zum Glück hatte ein Familienmitglied die beste Idee: im Land der Tiere anzufragen, ob Ramona dort den Rest des Lebens verbringen könnte, als Schaf unter Schafen. Die Anfrage, ob wir „ihr“ einen Platz zum Leben anbieten könnten, konnten wir einfach nicht negativ beantworten. Angekündigt wurde uns Ramona als alte Schafoma.

Bei seinem Einzug stellte sich dann heraus: von wegen „Oma“: Opa! Wie das passieren konnte? Nach Ramonas Geburt dachten seine Menschen, das winzige Flaschenlämmchen müsse ein Mädchen sein. Nannten es Ramona. Und er blieb 11 Jahre lang immer „sie“, lebte zusammen mit drei anderen Schafen, war glücklich. Bis die anderen nach und nach eines natürlichen Todes verstarben.

Die Menschen im Land der Tiere gefielen ihm auf Anhieb gut: Ramona hatte keinerlei Berührungsängste, war gleich extrem anhänglich, genoss jede Streicheleinheit und ging ganz selbstverständlich mit Spazieren. Dass er von Anfang an taub war, es wussten alle, doch trotzdem riefen wir ihn so oft: „Ramona!“. Für einen Keks, für Streicheleinheiten, von beidem konnte er nicht genug bekommen.

Ramona fand schnell Anschluss bei den anderen Schafen. War glücklich und zufrieden, mit den Schafen, seinem Leben, mit uns. Irgendwann vor einigen Wochen fing es an, dass er ruhiger wurde. Nicht mehr sofort neben einem stand, um sich Streicheleinheiten und Kekse abzuholen. Er müde war. Es sich aber trotzdem nicht nehmen ließ, gemächlich mit den anderen Schafen durchs Land zu ziehen. Und sich natürlich wie immer seine Alte-Leute-Extra-Essensportionen abholte. Und das Essen musste pünktlich serviert werden, da bestand Ramona drauf.

In den vergangenen Tagen baute er merklich ab, ohne „krank“ zu sein. Ramonas alter, zarter Körper wurde noch zarter und zerbrechlicher, er verlor seine Kraft, die am Ende nicht einmal mehr reichte, um ohne Hilfe aufzustehen. Als er dann noch das Essen einstellte, wussten wir, dass er sich bereits von seinem Leben verabschiedete. Als wir ihn einschläfern ließen, war sein Sterbeprozess schon unumkehrbar im Gang.
Wir sind sehr traurig, auch wenn sein außergewöhnlich hohes Alter von fast 17 Jahren und die Tatsache, dass er ein wundervolles, behütetes Leben führen konnte, ein bisschen „versöhnlich stimmt“ mit seinem Tod. Das Gefühl seiner sanften, zarten Nase, die Hände nach Keksen durchsucht, bleibt.

Adieu, Ramona.

Abschied von Neuneinhalbgramm

Als wir im April 2023 morgens bei kalten 7 Grad ein frisch geschlüpftes Schildkrötenbaby fanden, war es ein Schockmoment. Ein bisschen Katastrophe, ein bisschen „Sensation“ und jede Menge Glück, dass es lebte. Es war ganz frisch aus dem Ei gepellt, der Nabel war noch ganz frisch, eigentlich hat nur noch ein kleines Restchen Eierschale auf dem winzigen Kopf des Winzlings gefehlt. Er war äußerlich leicht verletzt, konnte die Augen nicht öffnen. Nach einer Überwinterung im Ei nicht unbedingt verwunderlich, aber Grund zur Besorgnis. Wahrscheinlich war das Baby, grade aus dem Ei geschlüpft, von Elstern oder anderen Vögeln geschnappt und auf dem Weg „abgeworfen“ worden.

Eine Naturbrut, die man in unseren Breiten eigentlich für unmöglich hielt. Dazu noch die Tatsache, dass das Baby im Ei überwintert hatte, somit fast ein Jahr im Ei gelebt haben musste. Ganze neuneinhalb Gramm wog das Schildkrötenbaby. Etwa halb so viel wie ein Schlüpfling seiner Art normalerweise wiegt. Neuneinhalbgramm, das wurde sein Name
Die Inkubationszeit eines Schildkröteneies liegt normalerweise bei zwei bis drei Monaten und Temperaturen zwischen 25 und 35 Grad. Das winzige Krötchen war bis auf eine Miniverletzung am Vorderbein okay, als wir es fanden, aber nicht wirklich aktiv. Kein Wunder bei den Temperaturen und wenn man fast ein Jahr in einem Ei war. Die anfänglichen Augenprobleme legten sich in den Wochen darauf, das Baby war mobil und aktiv und hatte guten Hunger.

Seit fast 20 Jahren leben bei uns die weiblichen und männlichen Schildkröten dauerhaft getrennt, weil trotz großer, strukturierter Gehege die Belästigungen der weiblichen Tiere durch die Jungs nicht mehr okay waren. Zuchtabsichten gibt es sowieso keine, warum also der Stress. Vor 15 Jahren, Jahre nachdem die weiblichen zu den männlichen Schildkröten Kontakt hatten, hatten wir bereits die Überraschung einer Naturbrut, die einer unserer Hunde fand, und wissen seitdem um die Sache mit der Fähigkeit zur jahrelangen „Spermaspeicherung“…

Gelege werden seit dieser Erkenntnis auch in den Gehegen der reinen Mädelsgruppe entfernt. In den anderen, wo wir nicht sicher sein können oder wissen, die Tiere kommen aus gemischtgeschlechtlichen Haltungen, entfernen wir Gelegen sowieso. Sofern sie auffindbar sind. Und da ist der Haken. Bei der Größe, dem Wildwuchs und da wir nicht 24 Stunden bei den Schildkröten sind, überhaupt keine sichere Sache. Ordentliche Schildkrötenweibchen hinterlassen keine Spuren, nachdem das Nest voll und verschlossen ist. Kameraüberwachung ist bei der Größe unserer Gehege nicht praktikabel.

Lange Zeit dachten alle: Kein Problem. Die Eier werden in Deutschland im Freiland eh nichts. Neuneinhalbgramm, dazu die Naturbrut vor 15 Jahren, damals lebten wir noch im Mittelgebirge (der Herr lebt auch heute noch bei uns und heißt „Das Baby“), die Naturbruten aus Brandenburg, die seit drei Jahren bei uns sind, nachdem sie einfach draußen bei Menschen aus einem Erdhügel kamen, die viele Monate zuvor die Schildkrötenhaltung aufgegeben hatten.

Das Baby aus dem Mittelgebirge und die drei Brandenburger Naturbruten sind gesund und munter. Alle schlüpften, wann Schildkröten eigentlich schlüpfen sollten: im Sommer. Vielleicht war der Winter im Ei das Problem und das Baby doch noch nicht bereit, zu schlüpfen. Abgesehen von der Tatsache, dass es über ein Jahr brauchte, um sein Schlupfgewicht nur knapp zu verdreifachen, in den letzten Tagen fiel auf, dass Neuneinhalbgramm inaktiver wurde. Müde. Eine Ursache dafür konnten wir weder gesundheitlich noch klimatisch ausmachen. Dass das Baby einfach über Nacht stirbt, damit hätten wir dennoch nicht gerechnet.

Wir hätten uns 100 Jahre für Neuneinhalbgramm gewünscht. Vielleicht funktioniert es einfach doch nicht, gesund und überlebensfähig zu sein, wenn man als Schildkrötchen im Ei im Norden überwintert und dann noch gleich mit einem schweren Unfall ins Leben startet.

Adieu, Neuneinhalbgramm.

Abschied von Bruhuhni

Sie war eine der drei Bruhnhilden, die letzten Sommer als Notfall ins Land der Tiere kamen. Ihr Halter, der die Hühner sehr liebte und umsorgte, konnte sich nicht mehr um sie kümmern. Die „Lösung“ seiner Frau: töten. Einfach, weil sie sich nicht kümmern wollte. Zum Glück fanden die Schwiegertochter und Enkel, dass das überhaupt keine Lösung ist und brachten die Hühner in das Land der Tiere – und retteten ihnen so das Leben.

Bruhuhni, wie die „rote“ Bruhnhilde von einigen von uns genannt wurde, war die Art Person, die immer mit dabei ist. Keck, aufmerksam, schnell im Kontakte knüpfen, klar im Ansagen machen. Ihr Leben im Land der Tiere gestaltete sie sich so, wie sie wollte. Suchte sich ihre Clique an Freundinnen, erforschte das große Gehege jeden Tag aufs Neue. Hauptsache da, wo auch die Action ist.

War sie anfangs viel agiler, mehr dabei, hatte Bruhuhni in der letzten Zeit abgebaut. Sie döste mehr, blieb öfter bei „den Gemütlicheren“ zurück, nahm nicht mehr jeden Ausflug mit. Sie war knapp dreieinhalb Jahre alt, überhaupt kein Alter für Hühner – eigentlich. Wäre da nicht die Zucht und ihre Folgen.

Ja, auch die Hühner aus „Nachbars Garten“ sind davon betroffen. Auch sie legen deutlich mehr Eier, als es körperlich „nötig“ wäre. Die Zucht auf eine hohe „Legeleistung“ raubt den Hühnern mehrere Lebensjahre und macht sie kaputt. Wie unfassbar anstrengend es sein muss, so viele Eier zu legen, ist kaum greifbar für uns Menschen. Im Land der Tiere sehen wir die Folgen: angegriffene Gebärorgane, Tumore, Entzündungen, Legedarmvorfälle. Hühner, die ausgelaugt sind, die spüren, dass ihre Körper nicht mehr können. Und das nur, weil Menschen ihre Körper so gezüchtet haben, dass sie ihnen „nutzen“: Um möglichst viele Eier zu legen.

Eier zu essen, eine Idee, auf die wir gar nicht kommen würden. Wissen wir doch, dass das viele Eierlegen auch geretteten Hühnern zum Teil mehr als zwei Drittel ihrer Lebenserwartung klaut und ihre Körper zerstört.

Bruhuhni hat sich nicht mehr erholt, ihr Zustand wurde rasant schlechter. Ihr Körper hat aufgegeben, wir konnten nichts mehr für sie tun. Sie ist friedlich in ihrem Zimmer eingeschlafen.

Adieu, Bruhuhni.

Abschied von Maiella

Ein bisschen mehr als ein Jahr größtmögliche Freiheit hatte sie. Maiella, gerettet aus einem Bodenhaltungsbetrieb für „Elterntiere“. Maiella, die über hundertmal in ihrem Leben Mutter wurde und keines ihrer Kinder je kennenlernen konnte, weil sie von Menschen künstlich als „Legehennen“ ausgebrütet wurden. Maiella, die zusammen mit ihren Freundinnen Maike und Maianne am Muttertag 2023 ins Land der Tiere einzog, wo sie endlich einfach für sich leben konnte.

Sie machte das Jahr zum Besten ihres Lebens, holte nach, was sie alles verpasst hat. Maiella war so sehr sie selbst, wie es nur möglich war: sie strotzte nur so von Selbstbewusstsein, war gesprächig, mutig, neugierig, immer auf Achse. Sie genoss unzählige Sand- und Sonnenbäder zusammen mit ihren Freundinnen, raste von einer Ecke des Geheges zur anderen, um die erste am Apfel zu sein. Klärte Besucher*innen mit ihrer unterhaltsamen Art auf, dass Hühner wie sie leben wollen. Nicht, um Eier zu legen. Sondern um ihrer selbst willen.

Die allermeisten Hühner haben nie diese Chance, die Maiella hatte. Können nie den Himmel sehen, Sonne spüren, Zeit mit den Freundinnen verbringen, die sie mögen, und den anderen aus dem Weg gehen. Dabei sein, wenn was los ist, weil in den ganzen Betrieben, in den Hühner wie Maiella leben, nichts los ist – Langeweile, Stress, katastrophale Zustände sind das, was sie kennen. Ihr ganzes kurzes Leben lang.
Von den körperlichen Beschwerden mal ganz abgesehen. Auch Maiella machte die Zucht auf eine hohe „Legeleistung“ zu schaffen, die Folgen zeigen sich oft durch Probleme mit den Legeorganen. Es ging ihr vor einigen Wochen merklich schlecht. Nach Hormongaben und Antibiotikabehandlung verbesserte sich ihr Zustand extrem. Ihre zweite Rettung.

Wenn es ihr gut ging, war Maiella unfassbar präsent. Genau das Fehlen dieser Präsenz war, was auffiel, an diesem Mittwochnachmittag. Maiella, die immer zuverlässig angerast kommt, wenn Menschen ihr Gehege betreten oder irgendetwas los ist, kam nicht angerast. War nicht mit den anderen unterwegs. Ging es ihr wieder schlechter? Die Suche nach ihr ließ nichts Gutes ahnen, dann fanden wir rote Federn an einer ihrer Lieblingssandbadestellen.

Vermutlich wurde Maiella beim Sandbaden überrascht, ihre Mitbewohnerin Pute Lotta in ihrem gut versteckten Nest im Gebüsch. Wahrscheinlich war es ein Marder, der innerhalb von Sekunden tötete. Ein Marder, der sich nicht an die Regeln der Nachtaktivität hielt, vielleicht eine Mutter oder ein Jungtier auf der Suche nach einem neuen Revier und mit noch nicht ausgeprägtem Selbstverständnis, sich fernzuhalten dort, wo auch Hunde und Menschen sind. Und nur nachts unterwegs zu sein, wenn alle Hühner und Puten in ihren sicheren Zimmern längst schlafen.

Seither ist das Gehege der Hühner-Enten-Pute-WG tagsüber permanent unter menschlicher Dauerbewachung, nachts die Wildkamera aktiv. Wahrscheinlich ist der Marder längst weitergewandert – aber trotzdem haben wir Angst. Trotz bester Sicherung, hohen Zäunen, Untergrabungsschutz und Stromlitzen gegen Füchse, unendlich vielen Versteckmöglichkeiten zur Sicherheit vor Angriffen aus der Luft, die Anwesenheit von Menschen und Herdenschutzhunden: Es gibt keine 100%ige Sicherheit im Leben. Nicht im Leben eines Wesens, das wirklich lebt. Größtmögliche Freiheit, und die so sicher wie möglich, das ist das, was wir täglich versuchen, zu realisieren. Manchmal sind wir machtlos.

Maiellas Entdeckungsdrang war unbändig, sie genoss ihre Freiheit, kannte jeden Winkel ihres Geheges. Sie hatte so viel verpasst, so viel nachzuholen, so viel zu erleben und machte aus jedem Tag den besten, der er nur sein konnte. Wir hätten ihr noch so viele mehr dieser besten Tage gewünscht.

Adieu, Maiella.