Warum wir keine Eier essen?
Auch nicht Bio oder „vom Bauern nebenan“, ja sogar nicht einmal die Eier von geretteten Hühnern, die bei uns ein gutes Leben führen? Wegen Hennen wie Grisela. Ein unfassbar charmantes Huhn.
Sie war eine von denen, die als Zuchttiere für die Produktion von „bunten Legehennen für den privaten Gebrauch“ benutzt wurde. Ein hübsches, graues Huhn, dem man nicht ansah, dass auch sie zu den „Turbohennen“ gehörte, die zwar nicht 300 Eier pro Jahr wie die im kommerziellen Eier-Bereich benutzten Hühner, sondern „nur“ 250 Eier legte. Und dann auch noch „ganz besondere Eier“, nämlich mit grüner Schale. Auf diese spezielle Eierschalenfarbe werden die Hennen auch namentlich reduziert: man nennt sie „Grünleger“. Auch „Schokoleger“ gibt es heute, die bunten Eier erfreuen sich hoher Beliebtheit, nicht nur zu Ostern, ungefärbt hübsch bunt. Da denkt man ungerne an die Hennen, die die bunten Eier legten. Und wenn? Dann hat man meist völlig falsche Vorstellungen und irgendein grünes Idyll vor Augen.
Grisela lebte bis Mai 2021 anderthalb Jahre in ihrem „Hühner- und Eierproduktionsbetrieb“. Anderthalb Jahre Bodenhaltung auf ein paar Quadratmetern mit anderen Hühnern ihrer „Rasse“, ohne jemals draußen gewesen zu sein. Anderthalb Jahre eingesperrt sein, keine Sonne haben, nicht sandbaden können, Eier legen. Ausgebrütet hat sie in der Zeit kein einziges Ei: das erledigen Maschinen.
Ihr körperlicher und seelischer Zustand war furchtbar und der Zeitpunkt da, wo sie und die anderen 1500 Hennen des Bodenhaltungsbetriebes geschlachtet werden sollte. In einer großen Rettungsaktion konnten alle über 1500 Hühner gerettet werden und Grisela und fünf weitere Hennen zogen ins Land der Tiere ein. Heute, keine drei Jahre später, lebt nur noch eine von ihnen. Eigentlich haben Hühner eine Lebenserwartung von 10-15 Jahren. Aber nicht solche Hühner, wie Grisela eins war.
Es ging ihr und den anderen Hennen sehr schlecht, als sie ins Land der Tiere einzogen. Ihre Körper waren ausgemergelt, alle waren sehr krank: Bakterien, Würmer, Darmpilz und die angezüchtete hohe „Legeleistung“ und die Haltung hatten schlimme Spuren hinterlassen. Nach über einem Monat in Quarantäne und medikamentösen Behandlungen konnten wir Griesela und die anderen endlich das erste Mal in ihrem Leben nach draußen lassen. Vorsichtig aber voller Neugier haben sie angefangen, die Welt da draußen zu erkunden, die ersten Sonnen- und Sandbäder zu genießen, herumzulaufen in Klee und Wiese, den Himmel anzuschauen, sich den Wind ums zerzauste Gefieder wehen zu lassen – und endlich mit einem echten Hühnerleben zu beginnen.
Grisela stach nicht nur wegen ihrer Farbe aus der zerzausten Hühnergruppe hervor. Sie war so voller Tatendang und Neugier, dass sie schnell anfing, eigene Wege zu gehen. Morgens gleich durchstartete, um die Tiere im Nachbargehege zu besuchen. Vor allem, wenn sie jemanden von uns Menschen dort sah, kam sie sofort über den Zaun geflogen. Begleitete uns bei unserem täglichen Tun. Ein bisschen war es, dass sie immer schon auf dem Weg zu uns war und während wir noch überlegten, ob wir Grisela rüber rufen, kam sie schon. Vielleicht mit dem Plan, sich eine Weile beim Zimmerputz behilflich zu zeigen – ihre Spezialität war das Herumsitzen in Einstreueimern- und Säcken, was nicht so richtig hilfreich, aber unglaublich charmant war – um einfach uns nahe zu sein?
Nahe war sie uns.
Grisela lebt nicht mehr. Ist nun gestorben an den Folgen dessen, wofür sie gezüchtet wurde.
Warum wir keine Eier essen? Weil es sich anfühlen würde wie „Verrat am Huhn“, das doch eigentlich Eier legt, um sie auszubrüten. Und vor allem: eigene Interessen und jede Menge Lust aufs Leben hat. Weil das viele Eierlegen dazu führt, dass die Lebenserwartung eines solchen Huhns um zwei Drittel Lebenszeit oder noch mehr reduziert wird. Lebenszeit, die sie genossen hätte – Zeit, die Grisela und anderen „Legehennen“ genommen wird.
Adieu, Grisela.