Adieu, Leonore.
Leonores Geschichte ist eine für Menschen, die mit Kaninchen zusammenleben – und eine für Tierärztinnen und Tierärzte.

Als Leonore vor einigen Monaten ins Land der Tiere einzog, war ihr Ernährungszustand katastrophal. Sie war Haut und Knochen, aber munter und aktiv. Ihre Zähne zum Teil viel zu lang gewachsen, um vernünftig Nahrung zu sich nehmen zu können. Ihr Gesicht auf einer Seite dick, so dachten wir, vermuteten aufgrund der Zahnprobleme einen Abszess. Leonore aß, alles was wir ihr „Kleines“ anboten. Unmengen. Die Zähne wurden unter Narkose korrigiert. Es gab keinen Abszess in der „dicken Backe“. Sehr erfreulich, dachten wir. Leonore aß, war munter, legte ordentlich an Gewicht zu, hoppelte draußen mit den anderen Kaninchen herum, kuschelte, war unauffällig.

Unauffällig bis auf ihr „schiefes Gesicht“. In der Tierarztpraxis hatte nach der Zahnkorrektur niemand hinterfragt, warum es schief war. Und wir kamen erst drauf, als alles zu spät war. Heute wissen wir, dass wir wahrscheinlich von Anfang an keine Chance hatten, sie zu retten, auch weil es nicht das einzige große Problem war, das sie herumtrug.

Leonore ging es jetzt plötzlich von einem auf den anderen Tag extrem schlecht. Sie hatte körperlich abgebaut in den Tagen zuvor, nicht so großen Appetit wie sonst, schien aber „normal fit“. An diesem Morgen ging dann nichts mehr. Sie kam nicht beim Rauslassen an die Tür gelaufen, um sich ihren gewohnten Frühstückskeks abzuholen. Sie lag in ihrem Haus, konnte nicht stehen. Nicht essen. War schon nicht mehr ganz da. Leonore lag im Sterben. Jemand von uns fuhr mit ihr zur Tierarztpraxis, um ihr einen längeren Weg in den Tod zu ersparen.

Die Tierärztin dort hatte jedoch eine ganz andere Idee. „Inspiriert“ vom schiefen Gesicht Leonores, die sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, stellte sie eine Sicht-Diagnose. „Mit sehr guter Prognose.“ Das Tier habe E.C., da gäbe es doch beste Aussichten bei Behandlung mit einem Wurmmittel. Welches sie prompt eintütete und die sterbende Leonore wieder mit der überrumpelten Mitarbeiterin, die Hoffnung nicht ablehnen konnte, nach Hause schickte.

Dann lag Leonore wieder hier. So „hoffnungsvoll“ die Tierärztin, so klar war doch: Es gibt keine Hoffnung, Leonores Problem ist nicht E.C.. Und sie wird sterben, egal was wir tun. In diesem Moment mit ihr kam viel zu spät plötzlich die sichere Vermutung, endlich die Antwort auf die Frage nach der Ursache von Leonores Problem mit dem schiefen Gesicht gefunden zu haben: Leonores Ohr. Niemand hatte bislang überlegt, ob ein schmerzhaftes, von außen nicht sichtbares Ohrenproblem hinter ihrem schiefen Gesicht stecken könnte. Ob nicht eine Backe dick war, sondern die „dünne“ andere vor Dauerschmerz und Entzündung hochgezogen. Dazu passte die ungleichmäßige Zahnabnutzung. Und vielleicht auch ihre Probleme mit räumlichem Sehen.

Wir kontaktierten wieder die Tierarztpraxis. Dass wir kommen, um Leonore einschläfern zu lassen. Die Antwort war recht unkooperativ „…aber es gibt doch eine gute Prognose bei E.C.-Kaninchen“. Ja, bei E.C.- Kaninchen, manchmal. Aber doch nicht bei Leonore, die nicht mehr ansprechbar war. Nach wahrscheinlich sehr langer, schwerer Krankheit nun noch unnötig lange gelitten hatte, weil in der Praxis ihr Sterbensprozess als „Krankheit mit guter Prognose“ gedeutet wurde.
Leonore wurde dann endlich eingeschläfert.

Heute wissen wir, es gab wirklich keine Chance, Leonore zu retten. Auch nicht, wenn jemand früher auf die Idee gekommen wäre, dass ihr Innenohr voller Eiter ist. Seit Monaten, Jahren? Die Untersuchung in der Pathologie, die wir beauftragten, bestätigte die Mittelohrentzündung mit hochgradiger Eiterfüllung. Es war längst nicht alles, was Leonore ertragen hatte, bis kurz vor ihrem Tod damit herumhoppelte, ohne sich etwas anmerken zu lassen: Gebärmutterkarzinome, Leberentzündung, Lungenentzündung mit Einlagerung von Pflanzenmaterial. Alles zusammen war ihr Tod.

Vielleicht kann ihre Geschichte anderen Kaninchen helfen und vor fehlenden und Fehldiagnosen bewahren.

Adieu, Leonore.

(*E.C., Encephalitozoon Cuniculi: Eine parasitäre Erkrankung, die das Nervensystem bisweilen so angreift, dass Kaninchen Kopfverdrehungen aufweisen, je nach Schwere nicht in der Lage sind, geradeaus zu laufen. Diese Schiefhaltung jedoch ist nicht zu verwechseln mit einer „Gesichtsverzerrung“, Gleichgewichtsstörungen und anderen Schiefhaltungen, verursacht z.B. durch Ohrentzündungen oder Zahn- und Kieferprobleme.)

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