Ein bisschen mehr als ein Jahr größtmögliche Freiheit hatte sie. Maiella, gerettet aus einem Bodenhaltungsbetrieb für „Elterntiere“. Maiella, die über hundertmal in ihrem Leben Mutter wurde und keines ihrer Kinder je kennenlernen konnte, weil sie von Menschen künstlich als „Legehennen“ ausgebrütet wurden. Maiella, die zusammen mit ihren Freundinnen Maike und Maianne am Muttertag 2023 ins Land der Tiere einzog, wo sie endlich einfach für sich leben konnte.
Sie machte das Jahr zum Besten ihres Lebens, holte nach, was sie alles verpasst hat. Maiella war so sehr sie selbst, wie es nur möglich war: sie strotzte nur so von Selbstbewusstsein, war gesprächig, mutig, neugierig, immer auf Achse. Sie genoss unzählige Sand- und Sonnenbäder zusammen mit ihren Freundinnen, raste von einer Ecke des Geheges zur anderen, um die erste am Apfel zu sein. Klärte Besucher*innen mit ihrer unterhaltsamen Art auf, dass Hühner wie sie leben wollen. Nicht, um Eier zu legen. Sondern um ihrer selbst willen.
Die allermeisten Hühner haben nie diese Chance, die Maiella hatte. Können nie den Himmel sehen, Sonne spüren, Zeit mit den Freundinnen verbringen, die sie mögen, und den anderen aus dem Weg gehen. Dabei sein, wenn was los ist, weil in den ganzen Betrieben, in den Hühner wie Maiella leben, nichts los ist – Langeweile, Stress, katastrophale Zustände sind das, was sie kennen. Ihr ganzes kurzes Leben lang.
Von den körperlichen Beschwerden mal ganz abgesehen. Auch Maiella machte die Zucht auf eine hohe „Legeleistung“ zu schaffen, die Folgen zeigen sich oft durch Probleme mit den Legeorganen. Es ging ihr vor einigen Wochen merklich schlecht. Nach Hormongaben und Antibiotikabehandlung verbesserte sich ihr Zustand extrem. Ihre zweite Rettung.
Wenn es ihr gut ging, war Maiella unfassbar präsent. Genau das Fehlen dieser Präsenz war, was auffiel, an diesem Mittwochnachmittag. Maiella, die immer zuverlässig angerast kommt, wenn Menschen ihr Gehege betreten oder irgendetwas los ist, kam nicht angerast. War nicht mit den anderen unterwegs. Ging es ihr wieder schlechter? Die Suche nach ihr ließ nichts Gutes ahnen, dann fanden wir rote Federn an einer ihrer Lieblingssandbadestellen.
Vermutlich wurde Maiella beim Sandbaden überrascht, ihre Mitbewohnerin Pute Lotta in ihrem gut versteckten Nest im Gebüsch. Wahrscheinlich war es ein Marder, der innerhalb von Sekunden tötete. Ein Marder, der sich nicht an die Regeln der Nachtaktivität hielt, vielleicht eine Mutter oder ein Jungtier auf der Suche nach einem neuen Revier und mit noch nicht ausgeprägtem Selbstverständnis, sich fernzuhalten dort, wo auch Hunde und Menschen sind. Und nur nachts unterwegs zu sein, wenn alle Hühner und Puten in ihren sicheren Zimmern längst schlafen.
Seither ist das Gehege der Hühner-Enten-Pute-WG tagsüber permanent unter menschlicher Dauerbewachung, nachts die Wildkamera aktiv. Wahrscheinlich ist der Marder längst weitergewandert – aber trotzdem haben wir Angst. Trotz bester Sicherung, hohen Zäunen, Untergrabungsschutz und Stromlitzen gegen Füchse, unendlich vielen Versteckmöglichkeiten zur Sicherheit vor Angriffen aus der Luft, die Anwesenheit von Menschen und Herdenschutzhunden: Es gibt keine 100%ige Sicherheit im Leben. Nicht im Leben eines Wesens, das wirklich lebt. Größtmögliche Freiheit, und die so sicher wie möglich, das ist das, was wir täglich versuchen, zu realisieren. Manchmal sind wir machtlos.
Maiellas Entdeckungsdrang war unbändig, sie genoss ihre Freiheit, kannte jeden Winkel ihres Geheges. Sie hatte so viel verpasst, so viel nachzuholen, so viel zu erleben und machte aus jedem Tag den besten, der er nur sein konnte. Wir hätten ihr noch so viele mehr dieser besten Tage gewünscht.
Adieu, Maiella.