Kasimir.
Erst siehst du mich nur fragend an,
setze ich mich hin, kommst du mit zielgenauen Schritten angestampft.
Wartest, bis ich da alleine sitze, bleibst so lang auf Abstand,
bis fest steht, ich werde von deinen Mitbewohner*innen nicht beschimpft oder umgerannt.
Ich würde dich als zurückhaltenden Träumer beschreiben.
Wenn ich dich sehe, würde ich gerne die Blicke auf deine dicke Brust vermeiden.
Lässt dich beim Dösen manchmal nach vorne kippen, macht es dir schwer,
und trotzdem genießt du dein Leben so sehr.

Es brauchte nicht lang und ich hatte eine Verbindung zu dir aufgebaut,
du bist so lieb, so vorsichtig, so vertraut.
Auch wenn du ganz schön austeilen kannst,
dein Futter verteidigst du voll und ganz,
außer vor Claudius, vor dem hast du Respekt – nähert er sich, läufst du meist weg.
Und das ist verständlich, denn er ist auch so viel größer als du,
trotzdem lässt du ihn mit deinem morgendlichen Krähen nicht in Ruh.
Deinen täglichen Mittagsschlaf machst du mal im Häuschen, mal in der Sonne.
Wenn Besuch da ist: kuscheln! Du genießt das alles volle Wonne –
dein Leben ist nun das, was man Leben nennen kann,
aber es fing alles ganz anders als schön an.

Tag 1, du hast zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt,
auch wenn es so etwas wie Sonnenlicht erst einmal nicht geben wird.
Es ging auch ganz schnell, die Brutschranktür ging auf,
so nahm alles seinen Lebenslauf –
du zwischen tausend anderen weißen, nach 21 Tagen im Schrank,
ob du schon für dein Leben bereit bist?
Geschnappt, sortiert, gepackt, geimpft,
verpackt, verladen, transportiert, bist doch gerade erst geschlüpft.
Jetzt liegst du dicht gedrängt über, unter, zwischen den anderen,
so eng, wenig Platz, wo ihr wohl hin fahrt?

In einer Mastanlage werdet ihr eingestallt,
auch wenn ich finde, dass das die Situation nicht richtig beschreibt:
einfach in eine riesige Halle gekippt,
in der es außer einer dünnen Schicht Einstreu, Futter- und Trinkapparat nichts anderes gibt.
Nichts außer dir und tausenden deinesgleichen.
Für die Industrie einzeln wertlos,
aber hättet ihr ein selbstbestimmtes, freies Leben,
könnte man so viele Besonderheiten von euch beschreiben.

In dieser Tierfabrik leben nun 41.000 Tiere,
im Vergleich zu manchen Megaställen weniger, aber trotzdem verdammt viele – viele, viel zu viele, um auch nur irgend eine Art von Sozialstruktur zu haben.
Was sollte man bei so wenig Platz auch anderes erwarten,
euer Piepen wird von den Motoren der Lüftungsanlage übertönt,
denn es gibt keine Fenster, kein Tageslicht und niemanden der eure Laute hört.

Und hier setzte ich einen Schnitt hinter den Satz,
denn du verließt schon nach einer Woche diesen schrecklichen Platz.
Kamst mit fünf anderen zu uns ins Land,
und krähst dich nun mit Hahn Zacke um den Verstand.
Ich will damit untermalen, wie gut es dir hier geht,
und das nun deine Gesundheit und dein Leben an oberster Stelle steht.
Hier wirst du niemals als ein Hähnchen im Korb gesehen,
das sich viele einfach nur im Vorbeigehen vor dem Supermarkt kaufen –
denn es riecht und schmeckt ja so gut – und dabei gar nicht verstehen,
dass sie dir damit das Leben nehmen.

Ohne sich zu fragen,
ob sie das Recht dazu haben.
Denn für dich besteht dein Leben nun aus so vielen Tagen,
der Geschmack für sie nur einen Moment lang.
Und mich nerven diese Leute so sehr, die sagen,
ich schenke diesem Tier ja ein Leben, in dem ich es esse,
und, tut mir leid, aber die Aussage ist so schlecht,
denn ich habe nicht vergessen,
dass ihr Leben maximal aus 42 Tagen besteht,
viele früher sterben und es in dieser Zeit nicht um Glück,
sondern nur um ein schreckliches Dahinvegetieren geht.
Deshalb will ich nun noch ausführen, wie es den anderen Hühnern ergeht,
die wir nicht retten konnten
und für die der Tod bald vor der Tür steht.

Die kurze Zeit vergeht,
der Platz wird kleiner,
und wir können uns sicher sein,
glücklich ist von euch keiner.
Die dünne Einstreuschicht ist schon lang unter Ausscheidungen verschwunden,
ihr seid nun viel größer, lebt dicht gedrängt und habt körperliche und seelische Wunden.
Ihr wachst so schnell, eure Knochen zu schwach für euer eigenes Gewicht.
Es ist kein Wunder, dass da immer wieder ein Huhn zusammenbricht,
nicht mehr zum Futter kommt, leidet und einfach weiter da liegt,
bis es stirbt, verwest oder noch von seinen Artgenossen zerpickt wird.
Manche werden noch lebendig weggeworfen,
weil die Arbeiter*innen erkennen, aus dem Lebewesen wäre eh nichts Verwertbares geworden.

Eingeschränkte Bewegung, Beinfehlstellung und Laufunfähigkeit,
sind alles Sachen, die dazu führen, dass euch nur noch das Rumliegen bleibt.
Ihr liegt immer öfter auf der Brust,
das führt zu Hautreizungen, Entzündungen und Brustblasen.

Und nur um das nochmal bewusst zu sagen:
ihr liegt in eurem eigenen Kot,
und die Ammoniak- und Keimbelastung der Luft
ist nicht angenehm einzuatmen.
Ohne den Einsatz von Arznei und Antibiotika würden viele von euch nicht überleben,
es werden keine Einzeltiere behandelt, denn das würde unwirtschaftlich werden.
Krankheiten, Seuchensterben und die Bildung multiresistenter Keime ist uns völlig egal –
kranke Tiere werden von Mäster*innen getötet oder dem Sterben selbst überlassen, voller Qual.
Ca. fünf Prozent Mortalitätsrate (das sind Tiere, die während der Mast sterben) klingt
jetzt nicht viel – aber sehen wir mal genauer hin,
müssen wir zugeben, dass das schon während der kurzen Mastzeit
verdammt viele Millionen Hühner sind.
Hühner, von denen wir nicht wussten, dass es sie je gab
und die unser Konsum mit sich bringt.

Mastzeit ist bei der Vermarktung am Stück 29 Tage,
bei der Verarbeitung von Teilstücken 34 bis 42 karge Tage,
um zu leben, und klar, ist das die konventionelle Mast,
aber die steckt in jedem billigen Fleisch
und auch Biohühner würden lieber leben,
als ihrem Leben viel zu früh ein Ende verpasst zu bekommen.
Denn auch für sie hat das Leben im Brutschrank begonnen,
auch ihr Leben endet brutal in einer Schlachterei
und dennoch messen wir ihnen meist so viel Schönes bei.
Von den Eltern dieser Tiere will ich eigentlich gar nicht reden,
enormer Stress, dauernd bestiegen, davon Verletzungen –
und das nur um Eier zu legen,
deren Aufzucht sie niemals miterleben.
Und ich hoffe, dass sich bald alle Menschen eingestehen,
so kann es nicht weitergehen.
Doch bis dahin muss noch so viel passieren
und mir bleibt nur zu hoffen, das alle kapieren,
du willst leben – genau wie alle anderen Lebewesen der Erde
und das ich dich bis an dein Lebensende umsorgen und schützen werde.

Für Kasimir. Und euch. Von Lotta.

Schwein Pauline im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

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Hündin Nica im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

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