Bei der ersten Begegnung mit Mathilda haben wir uns geschämt für das, was andere ihr angetan hatten. Menschen kannte Mathilda nur als diejenigen, die sie alle paar Tage in die Enge trieben, einfingen, kopfüber festhielten, vergewaltigten, künstlich besamten. Mathilda Körper wies zahlreiche Verletzungen auf. Nach einem Jahr als Zuchtpute, gequält und gehalten zur Eiablage für die „Mastkükenproduktion“ in einem Großbetrieb, war sie physisch und psychisch am Ende ihrer Kräfte.
Es war eine Begrüßung mit Tränen, als sie vor über vier Jahren ins Land der Tiere einzog, statt im Schlachthof zu sterben – und dem Versprechen, dass sie ein Leben haben würde. Eine Zukunft ohne Gewalt, mit Sonne auf den Flügeln, Wiese unter den Füßen, Freundschaften und der Freiheit, ihre Tage selbstbestimmt zu verbringen.
Wir wurden Vertraute. Enge Vertraute, die viel Zeit miteinander verbrachten. Zwischen dem Tag, an dem sie das erste Mal in ihrem Leben draußen sein konnte, neugierig den Himmel betrachtete, ihre Augen die Wolken verfolgten, sie zwitschernd und glücklich glucksend den ersten Grashalm pflückte, ihr erstes Sandbad in der Sonne nahm und dem Tag, an dem wir uns von ihr verabschieden mussten, lagen nun mehr als vier Jahre. Dass Mathilda so alt werden würde, hätten wir kaum zu hoffen gewagt, denn für eine Pute der überschweren „Mastrassen“ ist es ein unglaubliche hohes Alter.
Auch bei Mathilda traten in den vergangenen Wochen mehr und mehr körperliche Probleme auf. Es fing an mit ihrer Hüfte, weitere Gebrechen kamen hinzu. Jetzt war der unausweichliche Tag da, wo keine Therapie mehr möglich war – und wir uns für immer verabschieden mussten.
Adieu, Mathilda.