Liebevolle Erinnerungen

An dieser Stelle möchten wir unserer ehemaligen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner gedenken. Danke, dass wir euch ein Stück eures Weges begleiten durften. Wir werden die Erinnerung an euch immer in unseren Herzen tragen.

Puter Georg im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

Jente

Jente zog im Sommer 2022 zusammen mit ihrer Schwester Polente als Abgabeente ein. Die Familie, bei der sie vorher lebten, suchte nach einem schlachtfreien Zuhause mit Teich für die beiden und wurde im Land der Tiere fündig. Die unzertrennlichen Schwestern freundeten sich gleich mit Heidi an – das Ententrio war komplett, eine enge Freundschaft entstand zwischen den dreien, die lange halten sollte.

Warzenenten wie Jente werden auch Flugenten genannt. Jente bewies schnell, dass der Name bei ihr zum Programm gehört: Regelmäßig flog sie über ihren Teich, hin und wieder dann auch über den Zaun zum Nachbargehege und machte Ausflüge zu den dort lebenden Puten und Kaninchen. Oder badete sogar „fremd“, im ehemaligen Gänseteich zwei Gehege weiter.

„Fremdbaden“, weil Jente und „ihr“ Teich eine sehr innige Beziehung miteinander hatten. Jente ist nicht nur eine Flugente, sondern auch durch und durch eine Badeente gewesen. Planschen, gründeln, Bahnen ziehen, Gefieder putzen, einfach im Wasser sein: Genau das war Jentes Element. Selbst Nickerchen machte sie am liebsten in Teichnähe, mindestens aber mit Blick auf ihren Teich.

Enten, die in Mastanlagen gehalten werden, können nie wie Jente von Wasser umgeben zu sein und ihren Bedürfnissen nachgehen. Sie können mit Glück vielleicht ihren Kopf in die Tränke stecken, laufen auf einem Boden, der nicht für ihre Füße gemacht ist. Jente blieb all das erspart. Sie hat jeden Tag im Land der Tiere genutzt, um ihr Ding zu machen.

Gut, dass ihr Teich direkt vor der Haustür auf sie wartete. Genauso wie ihre Freundin Heidi und Schwester Polente, zu der Jente eine enge Bindung hatte und die vor kurzem überraschend gestorben ist. Von den dreien war Jente die Unbedarfte, die Entdeckerin. Sie ging alles etwas lockerer an, hatte auch mal den Schalk im Nacken sitzen.

Und ist nun ähnlich wie ihre Schwester gestorben, ohne größere Ankündigung. Wegen der Temperaturen um den Gefrierpunkt war ihr Teich die letzten Tage zugefroren, Jente entsprechend nicht viel unterwegs. An ihrem vorletzten Lebenstag fiel uns auf, dass sie blass war, zu ruhig, Frost hin oder her. Zeit, ihr Problem näher zu ergründen, blieb uns keine mehr.

Adieu, Jente.

Kartöffelchen & Flauschi

Unter Menschen und unter Hunden kennt man es: Wenn zwei Wesen eine tiefe Beziehung haben und dann Eins stirbt, dauert es oft nicht lange, bis das Andere folgt.

Flauschi und Kartöffelchen haben sich im Land der Tiere kennengelernt, „gesucht und gefunden“. Beide hatten Zeiten hinter sich, die nicht gut waren: einsame Zeiten.

Kartöffelchen lebte jahrelang alleine in einem Käfig, weil sie angeblich „unverträglich“ mit anderen Meerschweinchen war. War sie überhaupt nicht, wie sich gleich nach ihrem Einzug in die bunte Land der Tiere-Meerschweinchengruppe herausstellte. Sie war lieb mit allen, egal ob jung oder alt, genoss jede Gesellschaft, schaute den jungen Meerschweinchen bei ihrem Treiben zu und kuschelte mit den alten Meerschweinchen. War einfach gleich „glücklich mittendrin angekommen“. Sogar den alten eher übellaunigen Ecki mochte sie – und er das alte Kartöffelchen, die mit allen einfach tiefenentspannt war.

Flauschi zog im Alter von fast sechs Jahren ins Land der Tiere ein. Sie war die letzte Überlebende einer privaten Meerschweinchengruppenhaltung und auf der Suche nach Anschluss an eine neue Gruppe. Ohne Gefahr, im Alter noch einmal alleine dazustehen. Zu ihrem Einzug ins Land der Tiere gab es direkt eine Überraschung für sie: Meerschweinchenbabys, die eine ihrer neuen Mitbewohnerinnen in „Flauschis Weinhandlung“, einem ihrer mitgebrachten Möbelstücke, bekam. Langeweile gab es von da an in Flauschis Leben keine mehr. Und Anschluss an die anderen Meerschweinchen fand sie auch gleich: sie wurde Teil der „Rentnerinnengruppe“. Und von denen mochte sie am allerliebsten Kartöffelchen – was auf Gegenseitigkeit beruhte. Wo Kartöffelchen war, war auch Flauschi. Und umgekehrt natürlich.

Beide brachten schon einige gesundheitliche Baustellen mit. Altersbaustellen, die mit weiter fortschreitendem Alter nicht besser wurden. Als Kartöffelchen – mittlerweile 9 Jahre alt – körperlich immer mehr abbaute, war die achtjährige Flauschi diejenige, die mit ihr kuschelte. Diejenige, die bei ihr war an ihrem letzten Lebenstag, bei ihr, als sie starb. Dass sie ihre beste, unzertrennliche Freundin dann nur wenige Tage überlebte, vielleicht hatten sie es so abgesprochen, bevor sie starben.

Adieu, Kartöffelchen & Flauschi.

Polente

Wer soll jetzt aufpassen, dass am Ententeich alles okay ist?

Sie war die Aufpasserin am Ententeich: Polente. Im Juni 2022 zog sie zusammen mit ihrer Schwester Jente ins Land der Tiere ein. Die Familie, bei der beide vorher lebten, konnte die Warzenenten nicht mehr halten und suchte nach einem Ort, wo sie in Sicherheit waren. Wo niemand auf die Idee kommt, sie zu schlachten. Und sie natürlich einen eigenen Teich haben, so, wie es sich für Enten eben gehört.

Die Schwestern waren unzertrennlich. An der Seite der jeweils anderen, selbst wenn sie gerade unterschiedliche Pläne hatten: Anfangs hat Polente die Badesitzungen ihrer Schwester nämlich nur vom Rand aus beobachtet. Und dafür alles immer genau im Blick gehabt. Irgendwann hat sich Polente entschieden, dass die Badeaufsicht auch vom Wasser aus gemacht werden kann – und ist selbst planschen gegangen. Ausgiebig, voller Freude, genau wie ihre Schwester Jente. Was sich nicht verändert hat: Ihr wachsames Auge, ihren Blick auf die Umgebung, den hat Polente auch im Teich gehabt.

Mit Heidi, der dritten Ente im Bunde, haben sich die Schwestern gleich gut verstanden, oft waren sie gemeinsam unterwegs. Und während Jente – als echte Flugente! – hin und wieder Ausflüge ins Nachbargehege macht und die Kaninchen dort besucht, ist Polente ihrem Gehege fast immer treu geblieben. Kein Interesse, die weitere Gegend zu erkundigen. Alles, was sie wollte, hatte sie direkt vor ihrer Nase. Eine ihrer Lieblingsroutinen: erst ordentlich im Teich planschen, dann ordentlich ausschütteln, dann ganz schnell auf den Baumstamm neben dem Teich flitzen zum „Abtrocknen“ und Entspannen. Im Idealfall mit Jente oder Heidi zusammen.

Vorausgesetzt, Polente war nicht anderweitig beschäftigt. Sie hat sich jedes Jahr wieder als „Nestbaukönigin“ im Land der Tiere bewiesen und aus ihren Daunen und Federn das plüschigste, weichste Nest weit und breit gebastelt. Und allen, die daran vorbeigekommen sind – ob Enten, Hühner, Puten, Perlhühner oder Menschen – sehr deutlich Bescheid gegeben, dass sie ihrem Meisterwerk nicht zu nahe kommen dürfen.

Wir haben Polente an ihrem liebsten Ort gefunden. Sie ist in ihrem Nest gestorben, in dem sie immer schlief, ohne Ankündigung, ohne Anzeichen, krank zu sein. Nach einem wundervollen letzten Lebenstag, an dem ausgiebig gebadet und gewacht und gewatschelt und geschnattert wurde und weder wir noch sie daran gedacht hätten, sie am nächsten Morgen nicht vergnügt wiederzutreffen.

Adieu, Polente.

Frau Lehmann

Abschied von Frau Lehmann. Unmittelbar vor den Tag, der ihr zweiter Rettungstag gewesen wäre.

Eier. Eier legen, dafür wurde sie gezüchtet. Dafür sollte sie nach einem Jahr des Legens geschlachtet werden: weil sie körperlich am Ende ihrer Kräfte war vom vielen Eierlegen. „Ganz normal“. Wird einfach so hingenommen, dass Jahr für Jahr viele Millionen „Legehennen“ wie sie verbraucht werden, leiden, sterben.

Als die Lehmanns genau zwei Jahre zuvor ins Land der Tiere kamen, waren sie zerfledderte, traurige, fast nackte, kranke Hühner, die über ein Jahr lang in Kafighaltung gelitten hatten. Und „normalerweise“ im Schlachthof geendet wären. Zu sechst kamen sie, alle mit großen gesundheitlichen Problemen. So großen Problemen, dass wir nicht einmal davon ausgehen könnten, dass sie die Zeit, wo sie endlich nach draußen gehen können würden, überhaupt noch erleben.

Alle Lehmanns bekamen einen bunten Ring um ein Bein, bis auf eine. So viele verschiedene Farben hatten wir nämlich nicht. Frau Lehmann ohne Ring war von Anfang eine der kritischsten Patientinnen. Sie erlebte die Zeit, wo alle Lehmanns endlich nach draußen konnten. Endlich mit Himmel über dem Kopf herumspazieren, die Sonne auf den langsam wachsenden Federchen spüren, Sandbäder nehmen, unter Bäumen herumscharren und danach an einem schönen Fleckchen ein Mittagsschläfchen machen konnten. Anhand ihrer Ringe konnten wir auch von der Ferne beobachten, wie es allen ging, welche Patientin grade besonderer Aufmerksamkeit bedurfte.

Frau Lehmann ohne Ring hatte immer wieder gute und schlechte Phasen. Litt unter anderem unter „Legedarmproblemen“, Schichteiern, anderen Krankheiten, die sie der Tatsache zu verdanken hatte, als „Turbolegehenne“ gezüchtet worden zu sein. Irgendwie schaffte sie es immer mit medizinischer Hilfe, sich doch wieder zu erholen. Mehrfach überlegten wir, sie einschläfern zu lassen in schlechten Phasen. Aber dann zeigte sie wieder klar: es ist noch nicht so weit. Und nahm sich wieder eine kleine gute Zeit mit.

Diesmal hatte sie keine Chance mehr. Das einzige, was wir noch für sie tun konnten, war ein friedlicher Abschied in der Tierarztpraxis.

Adieu, Frau Lehmann ohne Ring.

Jolanda

Keine 4 Monate alt sollte Jolanda werden. Jetzt hat sie über 4 Jahre daraus gemacht.

Jolanda entdeckte vor vier Jahren jemand in einer Putenmastanlage. Die Masthalle war voller Putenhähne, dazwischen zwei viel kleinere weibliche Puten, versehentlich dort. Nach dem Schlüpfen „falsch gesext“, das kommt vor. Normalerweise werden weibliche und männliche Puten hierzulande getrennt geschlechtlich gemästet, wegen der unterschiedlichen Gewichtsentwicklungen und unterschiedlicher „Mastdauer“.

Überhaupt gibt es hier wenige weibliche „Mastputen“: weil sie längst nicht das „liefern“, nämlich kiloweise Brustfleisch pro Tier, werden bevorzugt Putenhähne gemästet. Die Putenhennen, für die es kaum einen Absatzmarkt gibt, werden meist als Küken exportiert – oder gleich nach dem Schlüpfen in den Brütereien getötet, weil ihre Mast unprofitabel ist.

Nach 16 Wochen ist eine Pute wie Jolanda „ausgemästet“ und wiegt dann knapp 11 Kilo, wenn sie im Schlachthof landet. Jolanda hätte wahrscheinlich so lange gar nicht überlebt. Nicht zwischen tausenden pubertierenden Hähnen, aggressiv durch ihre furchtbaren Lebensumstände in der Mastanlage.

Jolanda und die andere weibliche Pute wurden befreit. Wahrscheinlich hat es nicht mal jemand bemerkt. Außer Jolanda und ihre Freundin Jasmin, für die es das Leben bedeutete. Und uns, die wir seit dem Tag mit ihnen zusammen waren. Versuchten, die Leben dieser beiden noch so jungen und gleichzeitig so kranken Puten zu retten. Es dauerte lange, bis sie soweit gesund waren, raus zu können und eine echte Überlebenschance hatten.

Es wurde das perfekte Glück. Jahre des Pute-sein-Könnens. Jolanda wurde zusammen mit Jasmin erwachsen – und mit zwei fast gleichaltrigen Putenhähnen. Die vier waren so wundervoll miteinander, „Geschwister“ voller Energie. Und machten einfach das, was Andere ihnen versagen wollten: Leben. Viel Freude, viel Ernstes, viel Kommunikation, viel zu tun. Viel Zusammenhalt.

Der Abschied von den Jungs, die irgendwann starben, weil ihre Genetik und ihre schweren Körper sie umbrachten, war schwer für Jolanda und Jasmin. Ihr großer toller Freund Claudius, der für einen Puter ein enorm hohes Alter erreichte und dann irgendwann doch vor seinen Knochenproblemen kapitulieren musste. Sie waren bei ihm. Lagen neben ihm, als er nicht mehr aufstehen konnte. Und waren unfassbar traurig, als er nicht mehr da war.

Auch Jasmin und Jolanda merkten wir irgendwann ihr „biologisches Alter“ an. Als Jasmins Hüfte anfing, Probleme zu bereiten und sie dann noch einen Unfall hatte, dachten wir, Jolanda wird die letzte Überlebende der vier Befreiten. Und dann fing Jolanda an, zu humpeln. Der Fuß schwoll. Das Röntgenbild zeigte keine Fraktur.

Wir wussten, wie es weitergehen würde, auch wenn wir es an keinem Tag wahrhaben wollten. Es fängt mit einem Gelenk an. Dann das nächste. Dann die andere Seite wegen der Fehlbelastung. Dann die Hüfte. Dazwischen viel am Ende sinnlose Hoffnung, das Problem durch OPs und Medikamente lösen zu können.

Wir haben erst kapituliert, als Jolanda aufgab.

Adieu, Jolanda.

Bärt

Wir waren uns sicher: wir leben noch mindestens 10 Jahre zusammen. Und die Brüder Bärt und Ärnie können miteinander alt werden.

Als Ärnie vor einigen Monaten so furchtbar krank wurde, war Bärt, sein großer, starker Bruder, derjenige, der immer an seiner Seite war. Ärnie war monatelang sehr krank, hoffnungslos eigentlich. Und überlebte entgegen aller Prognosen. Wurde wieder gesund.

Bärt wurde im März 2020 im Land der Tiere geboren, das Leben seines Bruders Ärnie stand schon da einmal auf der Kippe. Ihre Mutter Bärta retteten wir schwanger – ohne davon zu wissen – aus dem, was man „Messi-Haltung“ nennt: ein Haufen Müll und Matsch, dazwischen viele Tiere, „betreut“ von Menschen, denen längst alles entglitten war, sofern sie überhaupt jemals etwas im Griff hatten. Den Tieren ging es übel. Eine davon: Bärta, Bärts Mutter, die immer „Nutztier“ war. Lämmer bekommen musste, Lämmer die ihr weggenommen und geschlachtet wurden, sie lebte als „Milchziege“, musste „Milch geben“ für Menschen. Eine Mutter, die immer unterm Existenzminimum klarkommen musste. Nie ungestörtes Familienleben hatte. Deren Leben geprägt war von Gewalt, Entbehrung, Vernachlässigung.

Bärta wurde ihren Jungs eine wundervolle Mutter. Ihre Geduld mit den beiden Quatschmachern war unendlich. Denn natürlich haben die beiden vor allem das getan, was junge Ziegen eben machen: zusammen herumzuspringen, „Dinge zu erfinden“ und sich absolut auf Mamas gute und liebevolle Aufsicht verlassen zu können, hat aus Ärnie und Bärt zwei fantastische Jungs werden lassen. Beide so ganz verschieden und trotzdem „Eins“. Ihre Wege trennten sich nie. Und auch die Beziehung zu ihrer Mutter wurde beim Erwachsenwerden nicht loser. Eher noch enger.

Bärt war immer der starke, große Bruder. So ein Typ, bei dem niemand daran denkt, dass ihn irgendetwas umhauen könnte. Ganz im Gegensatz zu seinem zarten Bruder, der jetzt schon mehrfach beinahe gestorben wäre, dem man seine Zerbrechlichkeit sozusagen immer schon ansah. Vor allem, wenn er neben dem kernigen Bärt stand. Oder beide zusammen ihren liebevollen Quatsch machten.
Uns wäre nie in den Sinn gekommen, dass Ärnie derjenige sein würde, der seinen Bruder überlebt. Als Bärt vor ein paar Tagen nicht so ganz auf der Höhe war, dachten wir an nichts Dramatisches. Der herbeigerufene Tierarzt und wir waren zuversichtlich, dass Bärt bald wieder fit sein würde. Aber Bärts Zustand verschlechterte sich, so dass wir mit ihm in die Tierklinik fuhren. Immer noch voller Zuversicht. Nicht mit der Angst, dass Ärnie seinen Bruder nie wiedersehen würde.

Bärt starb kurz darauf in der Tierklinik. Seine Familie und wir werden noch lange brauchen, um zu verstehen, dass er nicht mehr wiederkommt.

Adieu, Bärt.

Mausi

Es war so etwas wie „Liebe auf den ersten Blick“.

„Mausi wird ihren Platz bei uns haben“, das war vor einigen Monaten die Antwort auf die Anfrage eines Pferdehofes nach der Aufnahme mehrerer Tiere von dort. Der Pferdehof-„Streichelzoo“ sollte aufgelöst werden, nachdem es Ärger mit dem Veterinäramt gegeben hatte. Mausi fand ihren Platz im Land der Tiere. Und es war so etwas wie „Liebe auf den ersten Blick“.

Schon vor Mausis Einzug war klar, dass das einzige, was wir an ihrer Aufnahme bereuen würden die Tatsache war, sie nicht viel früher kennengelernt zu haben. Sie kam als uraltes, unfassbar liebes, vertrauensvolles Schäfchen in sehr vagem Gesundheitszustand. Klapperdünn, von Parasiten geschädigt, mit Kehlkopf- und Lungenentzündung. Wahrscheinlich war das nur ein Bruchteil ihrer Erkrankungen und körperlichen Baustellen, das Offensichtliche.

Mausi war eine sehr geduldige Patientin. Vielleicht auch aufgrund der Tatsache, dass es etwas in Mausis Leben gab, was ihr fast das Wichtigste war: menschliche Gesellschaft. Und Kekse, Kuscheln, zusammen Spazierengehen. Auch als sie endlich soweit „stabil“ war, dass sie ihr Krankenlager verlassen und zu den anderen Schafen umziehen konnte, blieb Mausi sich treu. Es interessierte sie nicht sonderlich, wo die anderen Schafe hin spazierten. Es interessierte sie, wo der nächste Mensch unterwegs sein könnte. Längst nicht nur wegen der Kekse.

Mausi hat unbekannt lange Zeit als Einzelschaf gelebt, bevor sie ins Land der Tiere einzog. Und in ihrem langen Leben offenbar gute Menschenkontakte gepflegt. Was dann irgendwann schiefging, wahrscheinlich werden wir es nie erfahren.

Erfahren haben wir ihr Vertrauen, ihre Geduld, ihre Anhänglichkeit, ihre Gewitztheit, hinter irgendeinem Busch zu warten, bis ein Mensch die Wege längskommt. Jemand, mit dem sie dann einfach mitging. Niemand kam ohne Extra-Mausi-Streicheleinheit vorbei, das war unmöglich. Und tatsächlich haben wir uns manchmal gefragt, ob sie nicht bei den Schafen wieder ausziehen und in eine unserer Betriebswohnungen einziehen sollte.

Wenn die Zeit gereicht hätte, vielleicht wäre es so gekommen.

Mausi starb, wie es zu ihr passte: Mit Streicheleinheiten und einem letzten Extra-Keks, nachdem ihr Körper innerhalb weniger Tage noch weiter abgebaut hatte und wir nichts mehr tun konnten, als bei ihr zu sein.

Adieu, Mausi.

Gesa

Als wir Gesa vor sechs Jahren kennenlernten, saß sie in der „Küchenvoliere“ eines Tierparks, wo „vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen“ gehalten und gezüchtet werden. Nicht um ihrer selbst wegen, sondern „natürlich“ als „Nutztiere“. In die Küchenvoliere wurden die Vögel aussortiert, die aufgrund von „Farbfehlern“, die dem „Rassestandard“ widersprachen oder wegen anderen Besonderheiten als „nicht erhaltenswert“ galten. Gesa saß zwischen unzähligen andern Aussortierten, auf die nur Eins wartete: die Schlachtung und Verarbeitung im Tierpark, wo sie dann auf der Speisekarte der tierlieben Gäste gelandet wäre.

Gesa zog zusammen mit Josefine ins Land der Tiere ein. Beide waren fast noch Küken – und leisteten ab da dem alten Herrn Gustav Gesellschaft. Eine bessere weise Putenaufsichtsperson, so einer, der alles weiß und gut aufpasst, hätten sich beide kaum aussuchen können.

Gesa war von Anfang an die Sanfte. Im Gegensatz zu Josefine, für die „Krawallmachen“ zum Tagesgeschäft gehört. Gesa vermied es immer, in Stänkereien zu landen, egal ob mit Josefine oder den Nachbarinnen. Ging lieber weg und ließ es nie eskalieren. Für diesen Part in der Gruppe gab es ja auch schon eine: Josefine.

Gesa war nicht nur die Sanfte. Sie war die Freie. Als leichte Pute war sie natürlich flugfähig – und wir sperren ja keine Vögel in Volieren, damit sie sich nicht selbständig machen. Sondern vertrauen darauf, dass sie wissen, was sie tun. Gesa konnten wir vertrauen. Sie war ständig unterwegs im Land, ging auch gerne mal die entfernteren Nachbarn besuchen (und dem alten Herrn Gustav fremd, was der aber nie erfahren darf). Wenn sie dann abends, manchmal mit menschlicher Begleitung, manchmal ohne, wieder nach Hause kam, gab es in aller Regel erst einmal einen Rüffel von Josefine. Josefine hasste es, wenn Gesa weg war und auf ihr Rufen nicht reagierte. Da sie aber – obwohl sie es kann, weil flugfähig! – ganz anders gestrickt, eher häuslich ist, nie mit Gesa zusammen auf Tour ging, hat sie vieles verpasst, aber musste immerhin nie ihren Chefinnenposten verlassen. Prioritäten.

Wenn Gesa sich auf den Weg machte, ging es meist um eins: die Suche nach dem perfekten Nest für ein Ei. So ein Nest, das niemand findet. Wir waren oft der Verzweiflung nahe, wenn wir nachmittags mit allen verfügbaren Menschen im Land loszogen, um ihr Nest und damit sie zu finden. Nur eine Nacht draußen hätte tödlich sein können, wenn ein nächtlicher Räuber sie gefunden hätte. Einmal in sechs Jahren fanden wir sie nicht. Und was am nächsten Tag geschah, es war: Gesa. Gesa, die ganz aufgeregt angelaufen kam morgens. Sie war außer sich. Rannte Richtung nach Hause. Im Schnabel trug sie ein Ei mit sich, ein kaputtes Ei, wahrscheinlich hatte ein Marder es gefunden. Gesa rannte mit dem zerstörten Ei durch die etlichen Tore, die wir ihr öffneten, nach Hause, um das Ei in ihrem Zimmer in Sicherheit zu bringen. Und zog es dann erstmal vor, mit Josefine das Nest im Zimmer zu hüten.

Gesa hat seit diesem Frühjahr keine Eier mehr gelegt. Wie ein alternder Vogel, dessen maximale Eierzahl erreicht war. Trotzdem hätten wir nie damit gerechnet, dass sie so plötzlich abbaut und stirbt, ohne dass wir noch irgendetwas hätten für sie tun können.

Adieu, Gesa.

Abschied von Archie Ostermann

Eine alte Kaninchenregel besagt: gibt es zwei Tage in Folge ein Leckerli aus Menschenhand angereicht, ist damit ein Ritual geschaffen, dass niemals wieder gebrochen werden darf. Und wer sind wir, die alte Kaninchenweisheiten in Frage stellen würden?

Was wegen einer akuten Behandlung begann, wurde also bei Herr und Frau Ostermann und ihren Söhnen Teil der festen Morgenroutine: nach dem Frühstück noch ein kleines Leinküchlein abholen und dann ab auf die Wiese. Nur Archie Ostermann sah das anders und blieb sitzen. Das menschliche Putzpersonal fing an den Stall zu fegen, Archie saß meist oben auf der Kaninchenbude und beobachtete das Treiben, wartend… Und ab da hieß es: durchhalten! Vorsichtig um Archie herum putzen, bloß keinen Augenkontakt herstellen, denn sein hellwacher, entschiedener Blick ließ wenig Verhandlungsspielraum.

Seine energisch tapsenden Vorderpfötchen und zarten Nasenstupser, seine frechen Blicke und seine Hartnäckigkeit werden ab nun fehlen, denn vor einigen Tagen hat Archie sein letztes Leinküchlein gegessen und kam schon nicht mehr, um für ein zweites oder drittes anzustehen.

Als Sohn von zwei Schecken war er, wie alle aus der Familie Ostermann, genetisch gesundheitlich vorbelastet, was dem „Vorbesitzer“ von Herrn und Frau Ostermann so ziemlich egal war, der die beiden bei seinem Auszug auf dem Grundstück zurück und sich selbst überließ.

Archie ist mit 6 anderen Geschwistern im Land der Tiere zur Welt gekommen und gehörte leider zu denen, die immer wieder mit genetisch bedingten Verdauungsproblemen zu kämpfen hatten. Seine Lebenserwartung hat er um Weiten getoppt, aber dieses Mal konnten wir leider nichts mehr für ihn tun, als ihn letztlich einschläfern zu lassen, weil sein Verdauungstrakt alle Funktionen komplett eingestellt hatte.

Als kleiner Eigenbrötler, der bei Wind und Wetter auf der großen Wiese meist allein sein Ding gemacht hat, war es umso schöner zu sehen, dass er sich am Tag seines Versterbens noch eine ganze Weile beim Bruder anlehnen konnte, der sich neben ihn gelegt hatte.

Archie hatte innerhalb der Familie Ostermann für uns alle eine sehr spezielle Rolle, denn er war der Grund, warum sich die Familie zahlenmäßig vor zwei Jahren mehr als verdoppelt hat. Er hatte uns hinsichtlich seines Geschlechts bzw. seiner Zeugungsfähigkeit alle etwas verar**t (daher sein Name, mit Augenzwinkern versteht sich).

Rein äußerlich war Archie „ganz eindeutig ein Mädchen“. War er aber nicht, sondern ein Junge mit anatomischen Besonderheiten, die sein wirkliches Geschlecht nicht verrieten und ihn aussehen ließen wie ein Mädchen: die Hoden innenliegend, sein Geschlechtsteil ein „Spaltpenis“.

Ein Jahr lang war er für uns ein Mädchen. Nach einem Jahr dann plötzlich nicht mehr – und zeugungsfähig. Für uns eine Riesenkatastrophe. Für Archie, seine Geschwister, seine Kinder und für Herr und Frau Ostermann, mit denen alles anfing, ganz einfach Familie. Familie, wo jetzt jemand fehlt.

Adieu, Archie Ostermann.

Abschied von Melone

Eigentlich leben Perlhühner in Afrika, als freie, wilde Vögel – und dort begann auch ihre heutige Nutzung und Zucht als „Fleischlieferanten“. Es entstanden „Mastperlhühner“, viel schwerer als ihre wilden Vorfahren, manche so schwer, dass sie nicht einmal mehr fliegen können wie echte Perlhühner.

Melone, die im Juni 2020 als Küken ins Land der Tiere einzog, war ein solches „Mastperlhuhn“. Wurde gezüchtet, um nach kurzer Mast als „Delikatesse“ auf irgendeinem Teller zu landen. Geflogen ist sie nie. Auch wenn sie Menschen in ihrer Nähe nie besonders mochte, hob sie nicht ab, sondern brachte sich zu Fuß aus deren Einzugsbereich. Und falls es jemand wagte, ihrem Nest zu nahe zu kommen, dann gab es Ärger. Lauten Ärger! Und mit Unterstützung ihrer beiden Mitbewohner Hütchen und Calimero wurde jede potentielle Gefahr vertrieben: mit lautstarkem Perlhuhngeschrei.

Schwere Perlhühner leiden leider häufig wie andere als Masttiere gezüchteten Vögel unter körperlichen Problemen. Bekommen oftmals Hüft- und Beinprobleme. Als Melone irgendwann anfing, sich zu schonen, weniger zu laufen und humpelte, war es sehr naheliegend, dass sie nun genau dieses Problem einholt. Unsere medikamentösen und tierärztlichen Behandlungsmöglichkeiten waren sehr eingeschränkt. Denn als Perlhuhn war auch Melone nicht wirklich „domestiziert“ – und ihr zu nahe zu kommen einfach nicht erlaubt.

Denn in ihrem Kopf hatte Melone alles, was ihre wilde Verwandtschaft auch hat: den Wunsch frei zu sein, zu leben, mit der Familie herumzuziehen, zu singen, zu schimpfen. Was sie seit über vier Jahren im Land der Tiere konnte und tat – bis auf die Einschränkungen, die ein Leben in Gefangenschaft mit sich bringt. Als wir Melone das erste Mal einfingen, um herauszufinden, was ihr schlechtes Laufen verursachte, schimpfte sie viel. Eine eingehende Untersuchung war kaum möglich aufgrund ihrer massiven Gegenwehr. Nur zwei Tage später saß sie im Nest im Perlhuhnhaus, hatte auch dort geschlafen. Und sie schimpfte nicht. Ein furchtbar schlechtes Zeichen.

Als wir sie dann untersuchen konnten, wurde das Problem offensichtlich. Der Tumor, den wir im unteren Bauchbereich fanden, beendete wenige Stunden später ihr Leben.

Adieu, Melone.