Liebevolle Erinnerungen

An dieser Stelle möchten wir unserer ehemaligen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner gedenken. Danke, dass wir euch ein Stück eures Weges begleiten durften. Wir werden die Erinnerung an euch immer in unseren Herzen tragen.

Puter Georg im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

Diego

Über 14 Jahre verbrachte Diego in einem kleinen Garten in der Großstadt, auf engem Raum zwischen den Häusern zusammen mit einer anderen Ziege. Als diese starb und Diego tieftraurig und alleine war, kümmerten sich Menschen, die Diego kannten, um eine Lösung für ihn. Die Suche nach einem Ort, wo er in Ruhe seinen Lebensabend gemeinsam mit anderen Ziegen verbringen konnte, führte Diego ins Land der Tiere. Im September 2022 zog er ein und machte mit über 14 Jahren nochmal einen Neuanfang.

Die körperlichen Baustellen, die er mitbrachte, waren nicht nur seinem Alter geschuldet. Klauenpflege, angemessene Ernährung und Bewegung – all das fehlte die Jahre vorher. Diego ließ sich von den nötigen Behandlungen nicht aufhalten. Er entdeckte schnell seine neue Umgebung und fand seinen Platz in der Ziegenfamilie und seine Lieblingsorte im Gehege.

Dazu gehörte „sein“ Hügel: hoch oben auf dem Bunker und mit Ausblick fast über das gesamte Land der Tiere. Diego hatte von dort stets alles im Blick, konnte aufmerksam die vorbeiziehenden Schafe und Perlhühner, die anderen Ziegen, die mit ihm lebten, die Katzen, Hunde, Puten, Minischweine und die umherlaufenden Menschen beobachten. Diego nahm gerne diese Beobachter-Rolle ein: Immer wissen, was los ist, ohne im Mittelpunkt stehen zu wollen.

Mit seinen eindrucksvollen Hörnern war Diego natürlich trotzdem eine Erscheinung. Und er hatte ein Händchen dafür, sich bei Führungen durch sein Gehege genau die Menschen rauszupicken, die seine Schmuseaufforderung, die aus „mit den Hörnern am Hosenbein reiben“ bestand, verstanden und ihr gerne nachkamen. Mit seinen Menschen aus der Tierversorgung hatte er ohnehin ganz enge Bindungen. Ein schelmischer Blick von Diego reichte, ausgiebige Krauleinheiten waren ihm garantiert. Und er konnte sehr verkuschelt sein.

Mit den Abläufen war er auch bestens vertraut: Weil Diego langsamer als die anderen aß und sowieso alles eher eine Schippe entspannter nahm, wäre er bei den üblichen Essensrangeleien in seiner neuen Ziegenfamilie zu kurz gekommen. Während die anderen abgelenkt waren, wurde Diego in „seinen“ Extra-Stall gerufen – wohlwissend, dass er nun in Ruhe Heu und seine Lieblings-Leckereien naschen konnte, machte er gerne mit. Hin und wieder begleitet von Kater Klaus, der Diegos exklusiven Essensplatz für seine Mittagsschläfe zu schätzen wusste.

Über zwei Jahre verbrachte Diego im Land der Tiere. Konnte die Aussicht genießen und alles aufmerksam im Blick haben, sich Gesellschaft suchen, wenn ihm danach war, sich an vertrauten und noch unbekannten Hosenbeinen kratzen, einfach machen, wonach ihm der Sinn stand.

Irgendwann aber holte ihn sein Alter komplett ein. Patient war er ja seit dem Tag seiner Ankunft, und mehr als einmal stand es richtig schlecht um ihn. Vor seinen letzten Lebenstagen baute Diego weiter ab. Auch seine Lieblingskräuter und das zusätzliche Essen konnten nicht verhindern, dass er immer mehr abnahm, kaum noch mobil war. Und dann kam der Tag, wo er festlag. Das Essen einstellte. Anfangs konnte er noch mit Hilfe aufstehen, aber auch das schaffte und wollte er am Ende nicht mehr. Er blieb die ganze Zeit ruhig, ertrug es, lag, wie er sonst auf seinem „Berg“ gelegen hatte. Und wir hofften, er schafft es alleine und kann so selbstbestimmt und friedlich sterben, wie er lebte.

Aber dann blieb uns doch nur noch der letzte Anruf beim Tierarzt für ihn.

Adieu, Diego.

Alf

Alf war eins der ganz speziellen Wesen im Land. Viele Sorgen unter anderem aufgrund zuchtbedingter körperlicher Baustellen – und ehrlich wären wir nie davon ausgegangen, dass er irgendwann das Kaninchen sein würde, dass am längsten hier lebt. Ein schräger kleiner Herr, der acht Jahre zuvor einzog.

Alf hatte bis dahin sein ganzes Leben alleine in einem Stall in der Größe einer Katzentransportbox verbracht. Sein körperlicher und seelischer Zustand war extrem schlecht, als er im Land der Tiere ankam. Keinerlei Kondition, mit Angst vor dem Wind in der Frisur, misstrauisch bis resigniert. Seine Eingewöhnung dauerte lange. Irgendwann schaffte er es, seine neue Freiheit zu genießen, trotz aller Ängstlichkeit.

Der ängstliche Alf, den wir einmal nachts bei furchtbarem Sturm aus seinem Haus retten mussten, vor das ein großer Baum gefallen war. Während weitere Bäume umzufallen und aufs Dach zu stürzen drohten, sah Alf keine Notwendigkeit, sich einfangen zu lassen. Vielleicht war es das intensivste Erlebnis mit ihm, unter umstürzenden Bäumen bei Starkregen mit Kopflampe einen Alf einfangen zu müssen, der vor Angst schrie, nicht wegen des Sturms und der Bäume, sondern weil er nicht angefasst werden wollte.

Die Sache mit dem Anfassen wurde im Lauf der vielen Jahre ein bisschen besser. Denn wir mussten ihm zwangsläufig öfter als allen lieb war körperlich zu nahetreten. Nicht nur zugunsten seiner Frisur, die ihm sonst die Sicht geraubt hätte, sondern auch wegen regelmäßiger Tierarztbesuche, Zahnkorrekturen wegen seiner Zahlfehlstellungen und Ohrenentzündungen, weil auch da einfach zu viele Haare im Weg waren.

Mit anderen Kaninchen war Alf lange auch „sehr speziell“. Mit seiner Partnerin, die zuvor die ganze Zeit im Stall neben ihm gehockt und auch kein Leben hatte, lebte er dann bis zu ihrem Tod glücklich zusammen. Mit anderen Kaninchen hatte er nie Freundschaften schließen wollen – vielleicht genügte ihm einfach das überschaubare Zusammensein mit seiner Partnerin. Nach ihrem Tod trauerte Alf sehr. Zum Glück traf er dann die richtige Entscheidung: er fand tiefe Freundschaften mit anderen Kaninchenherren. Die letzten drei Jahre lebte er zusammen mit zwei Zwergen, die ihn absolut respektierten. Und sehr liebten, so dass er immer gut geputzt und bekuschelt war.

Alf wurde älter. Und älter. Gebrechlich, oft ein bisschen vertüdelt. An manchen Tagen fragten wir uns, wie er trotzdem in der Lage war, ein selbstbestimmtes Freilaufkaninchenleben zu führen. Noch besser als wir betüdelten seine beiden kleinen Freunde ihn – nicht nur an den schlechten Tagen, sondern allen. Die Zwerge, untereinander oft eher „streitsüchtig“ unterwegs, aber unfassbar lieb mit dem alten Alf: wenn es darum ging, Alf zu putzen und mit ihm zu kuscheln, waren sie oft Eins: Während einer Alfs Öhrchen sauberleckte, kuschelte der andere sich von hinten an.

Als wir Alf morgens in seinem Zimmer fanden, saß sein Freund Hoppins neben ihm und putzte ihn. Eine liebevollere Sterbebegleitung als ihn hätte Alf nicht haben können.

Adieu, Alf.

Brownie

Brownie war die letzte der drei „Süßigkeiten“, wie wir sie und ihre 2022 verstorbenen Schwestern Keks und Muffin nannten. Ende 2018 zogen die drei ein, gerettet aus einer dieser furchtbaren Kaninchenhaltungen in einem Kleingarten, wie sie leider immer noch „ganz normal“ sind: Bucht an Bucht, Kaninchen in Einzelhaltung auf engstem Raum. Der Kaninchenzüchter wollte sie mästen und schlachten, stattdessen kamen die drei jungen Kaninchenriesen ins Land der Tiere.

Hier konnten sie endlich Kaninchen sein. Die Schwestern wollten jede freie Minute draußen verbringen, hatten riesigen Nachholbedarf, der nie gesättigt wurde: Das „Reinbringen der Süßigkeiten“ war oft eine kleine Herausforderung im allabendlichen Kleintiere-ins-Bett-bring-Programm. Hier noch ein Haken, da noch ein Schlenker und ein Sprint, schwupps, ist die eine drin, die andere wieder draußen. Das Spiel hatten die Schwestern perfektioniert.

Als die Großfamilie von Mama Helga, eine Riesenfamilie mit ähnlicher Vergangenheit wie die der „Süßigkeiten“, dann 2021 zu ihnen zog, verstand sich Brownie gleich sehr gut mit den älteren Jungs der Familie, die ihre Freunde wurden. Als ihre Schwestern starben, mit denen sie unzertrennlich war, war sie zum Glück schon längst integriertes „Familienmitglied“ in der Gruppe.

Im Buddeln konnte ihr auch in ihrer neuen Familie niemand etwas vormachen. Als unangefochtene Buddelmeisterin hat Brownie gefühlt jeden Winkel ihres Gartens schon mal umgegraben – außer ihrer Lieblingswiese. Und dass es einen Wall im Land gibt, der aussieht als habe dort einmal eine Erdmännchenkolonie gewohnt, das war ihr Meisterwerk. Und ihr gutes Recht.

Überhaupt war es ihr gutes Recht, das zu tun, was sie tun wollte. Buddeln, rumliegen, mit den anderen chillen, alleine auf Erkundung gehen, alles und alle beobachten: Hauptsache, sie konnte es selbst entscheiden, das war das A und O für Brownie. Auch mit zunehmenden körperlichen Schwierigkeiten kam ein Aufgeben für sie lange nicht in Frage. Draußen sein, machen, was sie will, auch wenn der Körper es nicht mehr ganz so wollte.

Zwischendurch gab es noch ein wenig Hoffnung, ihr helfen zu können, weil es nur eine unklare Diagnose gab. Als es ihr so schlecht ging, dass sie sogar das Essen einstellte und die Behandlungen und Tierarztbesuche über sich ergehen ließ war klar, dass ihr Problem sehr sehr groß war.

Am Ende war das selbstbestimmte Leben, das Brownie so wichtig war, nicht mehr möglich. Über sechs Jahre wurde sie alt, in einem Körper, der nicht für ein langes Leben, sondern für die kurze „Mast“ gezüchtet wurde – „alt“ also für ein Kaninchen ihrer Art. Die Tumore in ihrem Bauch wuchsen, vermehrten sich, eine Zeit lang war sie damit trotzdem noch fröhlich – unter Schmerzmitteln – draußen unterwegs. Ihre Hinterbeine konnte sie nicht mehr bewegen, ihr Körper war von Tumoren übersät. Das einzige, was wir noch für sie tun konnten, als sie keine Kontrolle mehr über ihre Hinterbeine hatte und die Tumore ihren Körper eingenommen hatten, war sie in ihrem Zuhause einschläfern zu lassen. Bei Sonne, in Gesellschaft ihrer Freunde, nach einer letzten saftigen Birne auf ihrer Lieblingswiese.

Adieu, Brownie.

Jente

Jente zog im Sommer 2022 zusammen mit ihrer Schwester Polente als Abgabeente ein. Die Familie, bei der sie vorher lebten, suchte nach einem schlachtfreien Zuhause mit Teich für die beiden und wurde im Land der Tiere fündig. Die unzertrennlichen Schwestern freundeten sich gleich mit Heidi an – das Ententrio war komplett, eine enge Freundschaft entstand zwischen den dreien, die lange halten sollte.

Warzenenten wie Jente werden auch Flugenten genannt. Jente bewies schnell, dass der Name bei ihr zum Programm gehört: Regelmäßig flog sie über ihren Teich, hin und wieder dann auch über den Zaun zum Nachbargehege und machte Ausflüge zu den dort lebenden Puten und Kaninchen. Oder badete sogar „fremd“, im ehemaligen Gänseteich zwei Gehege weiter.

„Fremdbaden“, weil Jente und „ihr“ Teich eine sehr innige Beziehung miteinander hatten. Jente ist nicht nur eine Flugente, sondern auch durch und durch eine Badeente gewesen. Planschen, gründeln, Bahnen ziehen, Gefieder putzen, einfach im Wasser sein: Genau das war Jentes Element. Selbst Nickerchen machte sie am liebsten in Teichnähe, mindestens aber mit Blick auf ihren Teich.

Enten, die in Mastanlagen gehalten werden, können nie wie Jente von Wasser umgeben zu sein und ihren Bedürfnissen nachgehen. Sie können mit Glück vielleicht ihren Kopf in die Tränke stecken, laufen auf einem Boden, der nicht für ihre Füße gemacht ist. Jente blieb all das erspart. Sie hat jeden Tag im Land der Tiere genutzt, um ihr Ding zu machen.

Gut, dass ihr Teich direkt vor der Haustür auf sie wartete. Genauso wie ihre Freundin Heidi und Schwester Polente, zu der Jente eine enge Bindung hatte und die vor kurzem überraschend gestorben ist. Von den dreien war Jente die Unbedarfte, die Entdeckerin. Sie ging alles etwas lockerer an, hatte auch mal den Schalk im Nacken sitzen.

Und ist nun ähnlich wie ihre Schwester gestorben, ohne größere Ankündigung. Wegen der Temperaturen um den Gefrierpunkt war ihr Teich die letzten Tage zugefroren, Jente entsprechend nicht viel unterwegs. An ihrem vorletzten Lebenstag fiel uns auf, dass sie blass war, zu ruhig, Frost hin oder her. Zeit, ihr Problem näher zu ergründen, blieb uns keine mehr.

Adieu, Jente.

Kartöffelchen & Flauschi

Unter Menschen und unter Hunden kennt man es: Wenn zwei Wesen eine tiefe Beziehung haben und dann Eins stirbt, dauert es oft nicht lange, bis das Andere folgt.

Flauschi und Kartöffelchen haben sich im Land der Tiere kennengelernt, „gesucht und gefunden“. Beide hatten Zeiten hinter sich, die nicht gut waren: einsame Zeiten.

Kartöffelchen lebte jahrelang alleine in einem Käfig, weil sie angeblich „unverträglich“ mit anderen Meerschweinchen war. War sie überhaupt nicht, wie sich gleich nach ihrem Einzug in die bunte Land der Tiere-Meerschweinchengruppe herausstellte. Sie war lieb mit allen, egal ob jung oder alt, genoss jede Gesellschaft, schaute den jungen Meerschweinchen bei ihrem Treiben zu und kuschelte mit den alten Meerschweinchen. War einfach gleich „glücklich mittendrin angekommen“. Sogar den alten eher übellaunigen Ecki mochte sie – und er das alte Kartöffelchen, die mit allen einfach tiefenentspannt war.

Flauschi zog im Alter von fast sechs Jahren ins Land der Tiere ein. Sie war die letzte Überlebende einer privaten Meerschweinchengruppenhaltung und auf der Suche nach Anschluss an eine neue Gruppe. Ohne Gefahr, im Alter noch einmal alleine dazustehen. Zu ihrem Einzug ins Land der Tiere gab es direkt eine Überraschung für sie: Meerschweinchenbabys, die eine ihrer neuen Mitbewohnerinnen in „Flauschis Weinhandlung“, einem ihrer mitgebrachten Möbelstücke, bekam. Langeweile gab es von da an in Flauschis Leben keine mehr. Und Anschluss an die anderen Meerschweinchen fand sie auch gleich: sie wurde Teil der „Rentnerinnengruppe“. Und von denen mochte sie am allerliebsten Kartöffelchen – was auf Gegenseitigkeit beruhte. Wo Kartöffelchen war, war auch Flauschi. Und umgekehrt natürlich.

Beide brachten schon einige gesundheitliche Baustellen mit. Altersbaustellen, die mit weiter fortschreitendem Alter nicht besser wurden. Als Kartöffelchen – mittlerweile 9 Jahre alt – körperlich immer mehr abbaute, war die achtjährige Flauschi diejenige, die mit ihr kuschelte. Diejenige, die bei ihr war an ihrem letzten Lebenstag, bei ihr, als sie starb. Dass sie ihre beste, unzertrennliche Freundin dann nur wenige Tage überlebte, vielleicht hatten sie es so abgesprochen, bevor sie starben.

Adieu, Kartöffelchen & Flauschi.

Polente

Wer soll jetzt aufpassen, dass am Ententeich alles okay ist?

Sie war die Aufpasserin am Ententeich: Polente. Im Juni 2022 zog sie zusammen mit ihrer Schwester Jente ins Land der Tiere ein. Die Familie, bei der beide vorher lebten, konnte die Warzenenten nicht mehr halten und suchte nach einem Ort, wo sie in Sicherheit waren. Wo niemand auf die Idee kommt, sie zu schlachten. Und sie natürlich einen eigenen Teich haben, so, wie es sich für Enten eben gehört.

Die Schwestern waren unzertrennlich. An der Seite der jeweils anderen, selbst wenn sie gerade unterschiedliche Pläne hatten: Anfangs hat Polente die Badesitzungen ihrer Schwester nämlich nur vom Rand aus beobachtet. Und dafür alles immer genau im Blick gehabt. Irgendwann hat sich Polente entschieden, dass die Badeaufsicht auch vom Wasser aus gemacht werden kann – und ist selbst planschen gegangen. Ausgiebig, voller Freude, genau wie ihre Schwester Jente. Was sich nicht verändert hat: Ihr wachsames Auge, ihren Blick auf die Umgebung, den hat Polente auch im Teich gehabt.

Mit Heidi, der dritten Ente im Bunde, haben sich die Schwestern gleich gut verstanden, oft waren sie gemeinsam unterwegs. Und während Jente – als echte Flugente! – hin und wieder Ausflüge ins Nachbargehege macht und die Kaninchen dort besucht, ist Polente ihrem Gehege fast immer treu geblieben. Kein Interesse, die weitere Gegend zu erkundigen. Alles, was sie wollte, hatte sie direkt vor ihrer Nase. Eine ihrer Lieblingsroutinen: erst ordentlich im Teich planschen, dann ordentlich ausschütteln, dann ganz schnell auf den Baumstamm neben dem Teich flitzen zum „Abtrocknen“ und Entspannen. Im Idealfall mit Jente oder Heidi zusammen.

Vorausgesetzt, Polente war nicht anderweitig beschäftigt. Sie hat sich jedes Jahr wieder als „Nestbaukönigin“ im Land der Tiere bewiesen und aus ihren Daunen und Federn das plüschigste, weichste Nest weit und breit gebastelt. Und allen, die daran vorbeigekommen sind – ob Enten, Hühner, Puten, Perlhühner oder Menschen – sehr deutlich Bescheid gegeben, dass sie ihrem Meisterwerk nicht zu nahe kommen dürfen.

Wir haben Polente an ihrem liebsten Ort gefunden. Sie ist in ihrem Nest gestorben, in dem sie immer schlief, ohne Ankündigung, ohne Anzeichen, krank zu sein. Nach einem wundervollen letzten Lebenstag, an dem ausgiebig gebadet und gewacht und gewatschelt und geschnattert wurde und weder wir noch sie daran gedacht hätten, sie am nächsten Morgen nicht vergnügt wiederzutreffen.

Adieu, Polente.

Frau Lehmann

Abschied von Frau Lehmann. Unmittelbar vor den Tag, der ihr zweiter Rettungstag gewesen wäre.

Eier. Eier legen, dafür wurde sie gezüchtet. Dafür sollte sie nach einem Jahr des Legens geschlachtet werden: weil sie körperlich am Ende ihrer Kräfte war vom vielen Eierlegen. „Ganz normal“. Wird einfach so hingenommen, dass Jahr für Jahr viele Millionen „Legehennen“ wie sie verbraucht werden, leiden, sterben.

Als die Lehmanns genau zwei Jahre zuvor ins Land der Tiere kamen, waren sie zerfledderte, traurige, fast nackte, kranke Hühner, die über ein Jahr lang in Kafighaltung gelitten hatten. Und „normalerweise“ im Schlachthof geendet wären. Zu sechst kamen sie, alle mit großen gesundheitlichen Problemen. So großen Problemen, dass wir nicht einmal davon ausgehen könnten, dass sie die Zeit, wo sie endlich nach draußen gehen können würden, überhaupt noch erleben.

Alle Lehmanns bekamen einen bunten Ring um ein Bein, bis auf eine. So viele verschiedene Farben hatten wir nämlich nicht. Frau Lehmann ohne Ring war von Anfang eine der kritischsten Patientinnen. Sie erlebte die Zeit, wo alle Lehmanns endlich nach draußen konnten. Endlich mit Himmel über dem Kopf herumspazieren, die Sonne auf den langsam wachsenden Federchen spüren, Sandbäder nehmen, unter Bäumen herumscharren und danach an einem schönen Fleckchen ein Mittagsschläfchen machen konnten. Anhand ihrer Ringe konnten wir auch von der Ferne beobachten, wie es allen ging, welche Patientin grade besonderer Aufmerksamkeit bedurfte.

Frau Lehmann ohne Ring hatte immer wieder gute und schlechte Phasen. Litt unter anderem unter „Legedarmproblemen“, Schichteiern, anderen Krankheiten, die sie der Tatsache zu verdanken hatte, als „Turbolegehenne“ gezüchtet worden zu sein. Irgendwie schaffte sie es immer mit medizinischer Hilfe, sich doch wieder zu erholen. Mehrfach überlegten wir, sie einschläfern zu lassen in schlechten Phasen. Aber dann zeigte sie wieder klar: es ist noch nicht so weit. Und nahm sich wieder eine kleine gute Zeit mit.

Diesmal hatte sie keine Chance mehr. Das einzige, was wir noch für sie tun konnten, war ein friedlicher Abschied in der Tierarztpraxis.

Adieu, Frau Lehmann ohne Ring.

Jolanda

Keine 4 Monate alt sollte Jolanda werden. Jetzt hat sie über 4 Jahre daraus gemacht.

Jolanda entdeckte vor vier Jahren jemand in einer Putenmastanlage. Die Masthalle war voller Putenhähne, dazwischen zwei viel kleinere weibliche Puten, versehentlich dort. Nach dem Schlüpfen „falsch gesext“, das kommt vor. Normalerweise werden weibliche und männliche Puten hierzulande getrennt geschlechtlich gemästet, wegen der unterschiedlichen Gewichtsentwicklungen und unterschiedlicher „Mastdauer“.

Überhaupt gibt es hier wenige weibliche „Mastputen“: weil sie längst nicht das „liefern“, nämlich kiloweise Brustfleisch pro Tier, werden bevorzugt Putenhähne gemästet. Die Putenhennen, für die es kaum einen Absatzmarkt gibt, werden meist als Küken exportiert – oder gleich nach dem Schlüpfen in den Brütereien getötet, weil ihre Mast unprofitabel ist.

Nach 16 Wochen ist eine Pute wie Jolanda „ausgemästet“ und wiegt dann knapp 11 Kilo, wenn sie im Schlachthof landet. Jolanda hätte wahrscheinlich so lange gar nicht überlebt. Nicht zwischen tausenden pubertierenden Hähnen, aggressiv durch ihre furchtbaren Lebensumstände in der Mastanlage.

Jolanda und die andere weibliche Pute wurden befreit. Wahrscheinlich hat es nicht mal jemand bemerkt. Außer Jolanda und ihre Freundin Jasmin, für die es das Leben bedeutete. Und uns, die wir seit dem Tag mit ihnen zusammen waren. Versuchten, die Leben dieser beiden noch so jungen und gleichzeitig so kranken Puten zu retten. Es dauerte lange, bis sie soweit gesund waren, raus zu können und eine echte Überlebenschance hatten.

Es wurde das perfekte Glück. Jahre des Pute-sein-Könnens. Jolanda wurde zusammen mit Jasmin erwachsen – und mit zwei fast gleichaltrigen Putenhähnen. Die vier waren so wundervoll miteinander, „Geschwister“ voller Energie. Und machten einfach das, was Andere ihnen versagen wollten: Leben. Viel Freude, viel Ernstes, viel Kommunikation, viel zu tun. Viel Zusammenhalt.

Der Abschied von den Jungs, die irgendwann starben, weil ihre Genetik und ihre schweren Körper sie umbrachten, war schwer für Jolanda und Jasmin. Ihr großer toller Freund Claudius, der für einen Puter ein enorm hohes Alter erreichte und dann irgendwann doch vor seinen Knochenproblemen kapitulieren musste. Sie waren bei ihm. Lagen neben ihm, als er nicht mehr aufstehen konnte. Und waren unfassbar traurig, als er nicht mehr da war.

Auch Jasmin und Jolanda merkten wir irgendwann ihr „biologisches Alter“ an. Als Jasmins Hüfte anfing, Probleme zu bereiten und sie dann noch einen Unfall hatte, dachten wir, Jolanda wird die letzte Überlebende der vier Befreiten. Und dann fing Jolanda an, zu humpeln. Der Fuß schwoll. Das Röntgenbild zeigte keine Fraktur.

Wir wussten, wie es weitergehen würde, auch wenn wir es an keinem Tag wahrhaben wollten. Es fängt mit einem Gelenk an. Dann das nächste. Dann die andere Seite wegen der Fehlbelastung. Dann die Hüfte. Dazwischen viel am Ende sinnlose Hoffnung, das Problem durch OPs und Medikamente lösen zu können.

Wir haben erst kapituliert, als Jolanda aufgab.

Adieu, Jolanda.

Bärt

Wir waren uns sicher: wir leben noch mindestens 10 Jahre zusammen. Und die Brüder Bärt und Ärnie können miteinander alt werden.

Als Ärnie vor einigen Monaten so furchtbar krank wurde, war Bärt, sein großer, starker Bruder, derjenige, der immer an seiner Seite war. Ärnie war monatelang sehr krank, hoffnungslos eigentlich. Und überlebte entgegen aller Prognosen. Wurde wieder gesund.

Bärt wurde im März 2020 im Land der Tiere geboren, das Leben seines Bruders Ärnie stand schon da einmal auf der Kippe. Ihre Mutter Bärta retteten wir schwanger – ohne davon zu wissen – aus dem, was man „Messi-Haltung“ nennt: ein Haufen Müll und Matsch, dazwischen viele Tiere, „betreut“ von Menschen, denen längst alles entglitten war, sofern sie überhaupt jemals etwas im Griff hatten. Den Tieren ging es übel. Eine davon: Bärta, Bärts Mutter, die immer „Nutztier“ war. Lämmer bekommen musste, Lämmer die ihr weggenommen und geschlachtet wurden, sie lebte als „Milchziege“, musste „Milch geben“ für Menschen. Eine Mutter, die immer unterm Existenzminimum klarkommen musste. Nie ungestörtes Familienleben hatte. Deren Leben geprägt war von Gewalt, Entbehrung, Vernachlässigung.

Bärta wurde ihren Jungs eine wundervolle Mutter. Ihre Geduld mit den beiden Quatschmachern war unendlich. Denn natürlich haben die beiden vor allem das getan, was junge Ziegen eben machen: zusammen herumzuspringen, „Dinge zu erfinden“ und sich absolut auf Mamas gute und liebevolle Aufsicht verlassen zu können, hat aus Ärnie und Bärt zwei fantastische Jungs werden lassen. Beide so ganz verschieden und trotzdem „Eins“. Ihre Wege trennten sich nie. Und auch die Beziehung zu ihrer Mutter wurde beim Erwachsenwerden nicht loser. Eher noch enger.

Bärt war immer der starke, große Bruder. So ein Typ, bei dem niemand daran denkt, dass ihn irgendetwas umhauen könnte. Ganz im Gegensatz zu seinem zarten Bruder, der jetzt schon mehrfach beinahe gestorben wäre, dem man seine Zerbrechlichkeit sozusagen immer schon ansah. Vor allem, wenn er neben dem kernigen Bärt stand. Oder beide zusammen ihren liebevollen Quatsch machten.
Uns wäre nie in den Sinn gekommen, dass Ärnie derjenige sein würde, der seinen Bruder überlebt. Als Bärt vor ein paar Tagen nicht so ganz auf der Höhe war, dachten wir an nichts Dramatisches. Der herbeigerufene Tierarzt und wir waren zuversichtlich, dass Bärt bald wieder fit sein würde. Aber Bärts Zustand verschlechterte sich, so dass wir mit ihm in die Tierklinik fuhren. Immer noch voller Zuversicht. Nicht mit der Angst, dass Ärnie seinen Bruder nie wiedersehen würde.

Bärt starb kurz darauf in der Tierklinik. Seine Familie und wir werden noch lange brauchen, um zu verstehen, dass er nicht mehr wiederkommt.

Adieu, Bärt.

Mausi

Es war so etwas wie „Liebe auf den ersten Blick“.

„Mausi wird ihren Platz bei uns haben“, das war vor einigen Monaten die Antwort auf die Anfrage eines Pferdehofes nach der Aufnahme mehrerer Tiere von dort. Der Pferdehof-„Streichelzoo“ sollte aufgelöst werden, nachdem es Ärger mit dem Veterinäramt gegeben hatte. Mausi fand ihren Platz im Land der Tiere. Und es war so etwas wie „Liebe auf den ersten Blick“.

Schon vor Mausis Einzug war klar, dass das einzige, was wir an ihrer Aufnahme bereuen würden die Tatsache war, sie nicht viel früher kennengelernt zu haben. Sie kam als uraltes, unfassbar liebes, vertrauensvolles Schäfchen in sehr vagem Gesundheitszustand. Klapperdünn, von Parasiten geschädigt, mit Kehlkopf- und Lungenentzündung. Wahrscheinlich war das nur ein Bruchteil ihrer Erkrankungen und körperlichen Baustellen, das Offensichtliche.

Mausi war eine sehr geduldige Patientin. Vielleicht auch aufgrund der Tatsache, dass es etwas in Mausis Leben gab, was ihr fast das Wichtigste war: menschliche Gesellschaft. Und Kekse, Kuscheln, zusammen Spazierengehen. Auch als sie endlich soweit „stabil“ war, dass sie ihr Krankenlager verlassen und zu den anderen Schafen umziehen konnte, blieb Mausi sich treu. Es interessierte sie nicht sonderlich, wo die anderen Schafe hin spazierten. Es interessierte sie, wo der nächste Mensch unterwegs sein könnte. Längst nicht nur wegen der Kekse.

Mausi hat unbekannt lange Zeit als Einzelschaf gelebt, bevor sie ins Land der Tiere einzog. Und in ihrem langen Leben offenbar gute Menschenkontakte gepflegt. Was dann irgendwann schiefging, wahrscheinlich werden wir es nie erfahren.

Erfahren haben wir ihr Vertrauen, ihre Geduld, ihre Anhänglichkeit, ihre Gewitztheit, hinter irgendeinem Busch zu warten, bis ein Mensch die Wege längskommt. Jemand, mit dem sie dann einfach mitging. Niemand kam ohne Extra-Mausi-Streicheleinheit vorbei, das war unmöglich. Und tatsächlich haben wir uns manchmal gefragt, ob sie nicht bei den Schafen wieder ausziehen und in eine unserer Betriebswohnungen einziehen sollte.

Wenn die Zeit gereicht hätte, vielleicht wäre es so gekommen.

Mausi starb, wie es zu ihr passte: Mit Streicheleinheiten und einem letzten Extra-Keks, nachdem ihr Körper innerhalb weniger Tage noch weiter abgebaut hatte und wir nichts mehr tun konnten, als bei ihr zu sein.

Adieu, Mausi.

Gesa

Als wir Gesa vor sechs Jahren kennenlernten, saß sie in der „Küchenvoliere“ eines Tierparks, wo „vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen“ gehalten und gezüchtet werden. Nicht um ihrer selbst wegen, sondern „natürlich“ als „Nutztiere“. In die Küchenvoliere wurden die Vögel aussortiert, die aufgrund von „Farbfehlern“, die dem „Rassestandard“ widersprachen oder wegen anderen Besonderheiten als „nicht erhaltenswert“ galten. Gesa saß zwischen unzähligen andern Aussortierten, auf die nur Eins wartete: die Schlachtung und Verarbeitung im Tierpark, wo sie dann auf der Speisekarte der tierlieben Gäste gelandet wäre.

Gesa zog zusammen mit Josefine ins Land der Tiere ein. Beide waren fast noch Küken – und leisteten ab da dem alten Herrn Gustav Gesellschaft. Eine bessere weise Putenaufsichtsperson, so einer, der alles weiß und gut aufpasst, hätten sich beide kaum aussuchen können.

Gesa war von Anfang an die Sanfte. Im Gegensatz zu Josefine, für die „Krawallmachen“ zum Tagesgeschäft gehört. Gesa vermied es immer, in Stänkereien zu landen, egal ob mit Josefine oder den Nachbarinnen. Ging lieber weg und ließ es nie eskalieren. Für diesen Part in der Gruppe gab es ja auch schon eine: Josefine.

Gesa war nicht nur die Sanfte. Sie war die Freie. Als leichte Pute war sie natürlich flugfähig – und wir sperren ja keine Vögel in Volieren, damit sie sich nicht selbständig machen. Sondern vertrauen darauf, dass sie wissen, was sie tun. Gesa konnten wir vertrauen. Sie war ständig unterwegs im Land, ging auch gerne mal die entfernteren Nachbarn besuchen (und dem alten Herrn Gustav fremd, was der aber nie erfahren darf). Wenn sie dann abends, manchmal mit menschlicher Begleitung, manchmal ohne, wieder nach Hause kam, gab es in aller Regel erst einmal einen Rüffel von Josefine. Josefine hasste es, wenn Gesa weg war und auf ihr Rufen nicht reagierte. Da sie aber – obwohl sie es kann, weil flugfähig! – ganz anders gestrickt, eher häuslich ist, nie mit Gesa zusammen auf Tour ging, hat sie vieles verpasst, aber musste immerhin nie ihren Chefinnenposten verlassen. Prioritäten.

Wenn Gesa sich auf den Weg machte, ging es meist um eins: die Suche nach dem perfekten Nest für ein Ei. So ein Nest, das niemand findet. Wir waren oft der Verzweiflung nahe, wenn wir nachmittags mit allen verfügbaren Menschen im Land loszogen, um ihr Nest und damit sie zu finden. Nur eine Nacht draußen hätte tödlich sein können, wenn ein nächtlicher Räuber sie gefunden hätte. Einmal in sechs Jahren fanden wir sie nicht. Und was am nächsten Tag geschah, es war: Gesa. Gesa, die ganz aufgeregt angelaufen kam morgens. Sie war außer sich. Rannte Richtung nach Hause. Im Schnabel trug sie ein Ei mit sich, ein kaputtes Ei, wahrscheinlich hatte ein Marder es gefunden. Gesa rannte mit dem zerstörten Ei durch die etlichen Tore, die wir ihr öffneten, nach Hause, um das Ei in ihrem Zimmer in Sicherheit zu bringen. Und zog es dann erstmal vor, mit Josefine das Nest im Zimmer zu hüten.

Gesa hat seit diesem Frühjahr keine Eier mehr gelegt. Wie ein alternder Vogel, dessen maximale Eierzahl erreicht war. Trotzdem hätten wir nie damit gerechnet, dass sie so plötzlich abbaut und stirbt, ohne dass wir noch irgendetwas hätten für sie tun können.

Adieu, Gesa.