Liebevolle Erinnerungen

An dieser Stelle möchten wir unserer ehemaligen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner gedenken. Danke, dass wir euch ein Stück eures Weges begleiten durften. Wir werden die Erinnerung an euch immer in unseren Herzen tragen.

Puter Georg im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

Gesa

Als wir Gesa vor sechs Jahren kennenlernten, saß sie in der „Küchenvoliere“ eines Tierparks, wo „vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen“ gehalten und gezüchtet werden. Nicht um ihrer selbst wegen, sondern „natürlich“ als „Nutztiere“. In die Küchenvoliere wurden die Vögel aussortiert, die aufgrund von „Farbfehlern“, die dem „Rassestandard“ widersprachen oder wegen anderen Besonderheiten als „nicht erhaltenswert“ galten. Gesa saß zwischen unzähligen andern Aussortierten, auf die nur Eins wartete: die Schlachtung und Verarbeitung im Tierpark, wo sie dann auf der Speisekarte der tierlieben Gäste gelandet wäre.

Gesa zog zusammen mit Josefine ins Land der Tiere ein. Beide waren fast noch Küken – und leisteten ab da dem alten Herrn Gustav Gesellschaft. Eine bessere weise Putenaufsichtsperson, so einer, der alles weiß und gut aufpasst, hätten sich beide kaum aussuchen können.

Gesa war von Anfang an die Sanfte. Im Gegensatz zu Josefine, für die „Krawallmachen“ zum Tagesgeschäft gehört. Gesa vermied es immer, in Stänkereien zu landen, egal ob mit Josefine oder den Nachbarinnen. Ging lieber weg und ließ es nie eskalieren. Für diesen Part in der Gruppe gab es ja auch schon eine: Josefine.

Gesa war nicht nur die Sanfte. Sie war die Freie. Als leichte Pute war sie natürlich flugfähig – und wir sperren ja keine Vögel in Volieren, damit sie sich nicht selbständig machen. Sondern vertrauen darauf, dass sie wissen, was sie tun. Gesa konnten wir vertrauen. Sie war ständig unterwegs im Land, ging auch gerne mal die entfernteren Nachbarn besuchen (und dem alten Herrn Gustav fremd, was der aber nie erfahren darf). Wenn sie dann abends, manchmal mit menschlicher Begleitung, manchmal ohne, wieder nach Hause kam, gab es in aller Regel erst einmal einen Rüffel von Josefine. Josefine hasste es, wenn Gesa weg war und auf ihr Rufen nicht reagierte. Da sie aber – obwohl sie es kann, weil flugfähig! – ganz anders gestrickt, eher häuslich ist, nie mit Gesa zusammen auf Tour ging, hat sie vieles verpasst, aber musste immerhin nie ihren Chefinnenposten verlassen. Prioritäten.

Wenn Gesa sich auf den Weg machte, ging es meist um eins: die Suche nach dem perfekten Nest für ein Ei. So ein Nest, das niemand findet. Wir waren oft der Verzweiflung nahe, wenn wir nachmittags mit allen verfügbaren Menschen im Land loszogen, um ihr Nest und damit sie zu finden. Nur eine Nacht draußen hätte tödlich sein können, wenn ein nächtlicher Räuber sie gefunden hätte. Einmal in sechs Jahren fanden wir sie nicht. Und was am nächsten Tag geschah, es war: Gesa. Gesa, die ganz aufgeregt angelaufen kam morgens. Sie war außer sich. Rannte Richtung nach Hause. Im Schnabel trug sie ein Ei mit sich, ein kaputtes Ei, wahrscheinlich hatte ein Marder es gefunden. Gesa rannte mit dem zerstörten Ei durch die etlichen Tore, die wir ihr öffneten, nach Hause, um das Ei in ihrem Zimmer in Sicherheit zu bringen. Und zog es dann erstmal vor, mit Josefine das Nest im Zimmer zu hüten.

Gesa hat seit diesem Frühjahr keine Eier mehr gelegt. Wie ein alternder Vogel, dessen maximale Eierzahl erreicht war. Trotzdem hätten wir nie damit gerechnet, dass sie so plötzlich abbaut und stirbt, ohne dass wir noch irgendetwas hätten für sie tun können.

Adieu, Gesa.

Abschied von Archie Ostermann

Eine alte Kaninchenregel besagt: gibt es zwei Tage in Folge ein Leckerli aus Menschenhand angereicht, ist damit ein Ritual geschaffen, dass niemals wieder gebrochen werden darf. Und wer sind wir, die alte Kaninchenweisheiten in Frage stellen würden?

Was wegen einer akuten Behandlung begann, wurde also bei Herr und Frau Ostermann und ihren Söhnen Teil der festen Morgenroutine: nach dem Frühstück noch ein kleines Leinküchlein abholen und dann ab auf die Wiese. Nur Archie Ostermann sah das anders und blieb sitzen. Das menschliche Putzpersonal fing an den Stall zu fegen, Archie saß meist oben auf der Kaninchenbude und beobachtete das Treiben, wartend… Und ab da hieß es: durchhalten! Vorsichtig um Archie herum putzen, bloß keinen Augenkontakt herstellen, denn sein hellwacher, entschiedener Blick ließ wenig Verhandlungsspielraum.

Seine energisch tapsenden Vorderpfötchen und zarten Nasenstupser, seine frechen Blicke und seine Hartnäckigkeit werden ab nun fehlen, denn vor einigen Tagen hat Archie sein letztes Leinküchlein gegessen und kam schon nicht mehr, um für ein zweites oder drittes anzustehen.

Als Sohn von zwei Schecken war er, wie alle aus der Familie Ostermann, genetisch gesundheitlich vorbelastet, was dem „Vorbesitzer“ von Herrn und Frau Ostermann so ziemlich egal war, der die beiden bei seinem Auszug auf dem Grundstück zurück und sich selbst überließ.

Archie ist mit 6 anderen Geschwistern im Land der Tiere zur Welt gekommen und gehörte leider zu denen, die immer wieder mit genetisch bedingten Verdauungsproblemen zu kämpfen hatten. Seine Lebenserwartung hat er um Weiten getoppt, aber dieses Mal konnten wir leider nichts mehr für ihn tun, als ihn letztlich einschläfern zu lassen, weil sein Verdauungstrakt alle Funktionen komplett eingestellt hatte.

Als kleiner Eigenbrötler, der bei Wind und Wetter auf der großen Wiese meist allein sein Ding gemacht hat, war es umso schöner zu sehen, dass er sich am Tag seines Versterbens noch eine ganze Weile beim Bruder anlehnen konnte, der sich neben ihn gelegt hatte.

Archie hatte innerhalb der Familie Ostermann für uns alle eine sehr spezielle Rolle, denn er war der Grund, warum sich die Familie zahlenmäßig vor zwei Jahren mehr als verdoppelt hat. Er hatte uns hinsichtlich seines Geschlechts bzw. seiner Zeugungsfähigkeit alle etwas verar**t (daher sein Name, mit Augenzwinkern versteht sich).

Rein äußerlich war Archie „ganz eindeutig ein Mädchen“. War er aber nicht, sondern ein Junge mit anatomischen Besonderheiten, die sein wirkliches Geschlecht nicht verrieten und ihn aussehen ließen wie ein Mädchen: die Hoden innenliegend, sein Geschlechtsteil ein „Spaltpenis“.

Ein Jahr lang war er für uns ein Mädchen. Nach einem Jahr dann plötzlich nicht mehr – und zeugungsfähig. Für uns eine Riesenkatastrophe. Für Archie, seine Geschwister, seine Kinder und für Herr und Frau Ostermann, mit denen alles anfing, ganz einfach Familie. Familie, wo jetzt jemand fehlt.

Adieu, Archie Ostermann.

Abschied von Melone

Eigentlich leben Perlhühner in Afrika, als freie, wilde Vögel – und dort begann auch ihre heutige Nutzung und Zucht als „Fleischlieferanten“. Es entstanden „Mastperlhühner“, viel schwerer als ihre wilden Vorfahren, manche so schwer, dass sie nicht einmal mehr fliegen können wie echte Perlhühner.

Melone, die im Juni 2020 als Küken ins Land der Tiere einzog, war ein solches „Mastperlhuhn“. Wurde gezüchtet, um nach kurzer Mast als „Delikatesse“ auf irgendeinem Teller zu landen. Geflogen ist sie nie. Auch wenn sie Menschen in ihrer Nähe nie besonders mochte, hob sie nicht ab, sondern brachte sich zu Fuß aus deren Einzugsbereich. Und falls es jemand wagte, ihrem Nest zu nahe zu kommen, dann gab es Ärger. Lauten Ärger! Und mit Unterstützung ihrer beiden Mitbewohner Hütchen und Calimero wurde jede potentielle Gefahr vertrieben: mit lautstarkem Perlhuhngeschrei.

Schwere Perlhühner leiden leider häufig wie andere als Masttiere gezüchteten Vögel unter körperlichen Problemen. Bekommen oftmals Hüft- und Beinprobleme. Als Melone irgendwann anfing, sich zu schonen, weniger zu laufen und humpelte, war es sehr naheliegend, dass sie nun genau dieses Problem einholt. Unsere medikamentösen und tierärztlichen Behandlungsmöglichkeiten waren sehr eingeschränkt. Denn als Perlhuhn war auch Melone nicht wirklich „domestiziert“ – und ihr zu nahe zu kommen einfach nicht erlaubt.

Denn in ihrem Kopf hatte Melone alles, was ihre wilde Verwandtschaft auch hat: den Wunsch frei zu sein, zu leben, mit der Familie herumzuziehen, zu singen, zu schimpfen. Was sie seit über vier Jahren im Land der Tiere konnte und tat – bis auf die Einschränkungen, die ein Leben in Gefangenschaft mit sich bringt. Als wir Melone das erste Mal einfingen, um herauszufinden, was ihr schlechtes Laufen verursachte, schimpfte sie viel. Eine eingehende Untersuchung war kaum möglich aufgrund ihrer massiven Gegenwehr. Nur zwei Tage später saß sie im Nest im Perlhuhnhaus, hatte auch dort geschlafen. Und sie schimpfte nicht. Ein furchtbar schlechtes Zeichen.

Als wir sie dann untersuchen konnten, wurde das Problem offensichtlich. Der Tumor, den wir im unteren Bauchbereich fanden, beendete wenige Stunden später ihr Leben.

Adieu, Melone.

Abschied von Pogo

Wo Leben ist, ist auch der Tod. Und wer einzieht, stirbt in aller Regel auch hier. Bestenfalls nach einem langen, aber vor allem glücklichen Leben.

Pogo wurde in einem privaten Maststall geboren, in einer versifften Kaninchenbucht, wo es keinen Platz zum Leben gab. Leben, das war eh nicht vorgesehen für einen wie ihn. Kaninchen wie Pogo erwartet „normalerweise“ ein kurzes Leben hinter Gittern, ein paar Monate bis zu „Schlachtreife“.

Pogo, seine Mutter, seine Geschwister, sein Vater und der Rest der Familie hatten das unglaubliche Glück, dass ihr Besitzer krankheitsbedingt irgendwann nicht mehr nach Hause kam. Das und der glückliche Umstand, dass sich völlig fremde Menschen dann um die Kaninchen des alten Herrn kümmerten, machte den Weg frei für sein Leben. Ein echtes Kaninchenleben.

Pogo kam zusammen mit seinen Brüdern und seinem Vater und dem ganzen Rest der Familie zu uns, zum „Rest“ gehörten auch seine viel jüngeren Geschwister, die noch Babys waren. Bis alle zusammenleben konnten, verging eine Zeit. Zusammensein als Familie, das ist nie Praxis in Kaninchenmastbuchten, da sitzen die Kaninchen einzeln nebeneinander in ihren kleinen Käfigen. Als wir sie alle zusammentun konnten, war es so, wie es sein sollte: eine Kaninchenfamilie.

Mit den anderen kuscheln, rumflitzen, streiten, buddeln, chillen, leckeres Grün wegknabbern, draußen sein können, ein fast freies und trotzdem behütetes Leben führen, das war Pogos Ding. Schlitzohr Pogo, der nach Streitigkeiten mit einem seiner Brüder im jugendlichen Alter einen Schlitz und ein „Piercing“ im Ohr hatte. Danach war die Familienordnung allerdings geklärt. Die einer absolut großartigen Familie.

Vor ein paar Wochen fing es an. Pogo hatte körperlich abgebaut. Ursache: unklar. Die erste Vermutung, ursächlich könne ein Zahnproblem sein, bestätigte sich beim Check in der Tierarztpraxis nicht. Röntgen unauffällig, Blutwerte schlecht. Keine Parasiten. Pogo aß und aß, und erst sah es so aus, als ob es nicht hoffnungslos sei. Doch er baute weiter ab, eine Lähmung kam dazu.

Pogo lebte, liebte und starb im Kreis seiner Familie.

Adieu, Pogo.

Abschied von Lama

Es hätte der Beginn ihres neuen Lebens sein sollen. Aber es war einfach zu spät.

Ihre Mastitis konnten wir behandeln. Den Befall mit Lungen- und Magen-Darm-Würmern stoppen. Ihre Füße behandeln. Aber nicht mehr die Ursache beheben, die ihren ganzen Körper unter Wasseransammlungen setzte. Wir hatten keine Chance, Lama zu retten. Lama, die doch grade erst eingezogen war.

Lama kam Ende August zusammen mit Frau Lienchen und Schaf Mausi, sie waren Teil eines „Steichelzoos“ auf einem Reiterhof, der mitsamt Tieren irgendwann verkauft wurde. Sie und die anderen „Streichelzoo“-Tiere kamen vor Jahren als „Geschenke“ dort hin, daher ist nicht überliefert, wie alt sie bei ihrem Einzug ins Land der Tiere waren. Vielleicht zwischen acht und zwölf Jahren, vielleicht auch älter. Vor ein paar Wochen verließen sie den Hof, nachdem es Ärger mit dem Veterinäramt gegeben hatte, und zogen als Patientinnen ins Land der Tiere ein.

Alle brachten gesundheitliche Probleme mit. Lama muss über Jahre mit einer Euterentzündung gelebt haben, dazu Parasiten, Lungen- und Magen-Darm-Würmer, hatte Fieber, als sie kam, und einen verdächtig dicken Bauch. Heute ist klar: Wasser im Bauch und zwischen allen Organen. Und dann in der Lunge.

Lamas Zustand verschlechterte sich dramatisch schnell. Und am Ende war alles, was wir taten, um sie zu retten, vergeblich.

Adieu, Lama.

Abschied von Ramona

Wie oft haben wir seine Geschichte erzählt. Erklärt, warum der alte Herr Ramona heißt. Dass kein anderer Name besser zu ihm gepasst hätte als eben „Ramona“. Das merkten alle, die ihm begegnet sind. Ramona, Typ „ganz zartes Wölkchen“.

Weihnachten 2018 zog er als elfjähriges Schaf ins Land der Tiere ein. Ramona, der sein Zuhause verlassen musste, weil der Hof aufgelöst wurde. Er war das letzte überlebende Schaf dort, seine Menschen ratlos, was mit ihrem einstigen Flaschenlamm passieren sollte. Zum Glück hatte ein Familienmitglied die beste Idee: im Land der Tiere anzufragen, ob Ramona dort den Rest des Lebens verbringen könnte, als Schaf unter Schafen. Die Anfrage, ob wir „ihr“ einen Platz zum Leben anbieten könnten, konnten wir einfach nicht negativ beantworten. Angekündigt wurde uns Ramona als alte Schafoma.

Bei seinem Einzug stellte sich dann heraus: von wegen „Oma“: Opa! Wie das passieren konnte? Nach Ramonas Geburt dachten seine Menschen, das winzige Flaschenlämmchen müsse ein Mädchen sein. Nannten es Ramona. Und er blieb 11 Jahre lang immer „sie“, lebte zusammen mit drei anderen Schafen, war glücklich. Bis die anderen nach und nach eines natürlichen Todes verstarben.

Die Menschen im Land der Tiere gefielen ihm auf Anhieb gut: Ramona hatte keinerlei Berührungsängste, war gleich extrem anhänglich, genoss jede Streicheleinheit und ging ganz selbstverständlich mit Spazieren. Dass er von Anfang an taub war, es wussten alle, doch trotzdem riefen wir ihn so oft: „Ramona!“. Für einen Keks, für Streicheleinheiten, von beidem konnte er nicht genug bekommen.

Ramona fand schnell Anschluss bei den anderen Schafen. War glücklich und zufrieden, mit den Schafen, seinem Leben, mit uns. Irgendwann vor einigen Wochen fing es an, dass er ruhiger wurde. Nicht mehr sofort neben einem stand, um sich Streicheleinheiten und Kekse abzuholen. Er müde war. Es sich aber trotzdem nicht nehmen ließ, gemächlich mit den anderen Schafen durchs Land zu ziehen. Und sich natürlich wie immer seine Alte-Leute-Extra-Essensportionen abholte. Und das Essen musste pünktlich serviert werden, da bestand Ramona drauf.

In den vergangenen Tagen baute er merklich ab, ohne „krank“ zu sein. Ramonas alter, zarter Körper wurde noch zarter und zerbrechlicher, er verlor seine Kraft, die am Ende nicht einmal mehr reichte, um ohne Hilfe aufzustehen. Als er dann noch das Essen einstellte, wussten wir, dass er sich bereits von seinem Leben verabschiedete. Als wir ihn einschläfern ließen, war sein Sterbeprozess schon unumkehrbar im Gang.
Wir sind sehr traurig, auch wenn sein außergewöhnlich hohes Alter von fast 17 Jahren und die Tatsache, dass er ein wundervolles, behütetes Leben führen konnte, ein bisschen „versöhnlich stimmt“ mit seinem Tod. Das Gefühl seiner sanften, zarten Nase, die Hände nach Keksen durchsucht, bleibt.

Adieu, Ramona.

Abschied von Neuneinhalbgramm

Als wir im April 2023 morgens bei kalten 7 Grad ein frisch geschlüpftes Schildkrötenbaby fanden, war es ein Schockmoment. Ein bisschen Katastrophe, ein bisschen „Sensation“ und jede Menge Glück, dass es lebte. Es war ganz frisch aus dem Ei gepellt, der Nabel war noch ganz frisch, eigentlich hat nur noch ein kleines Restchen Eierschale auf dem winzigen Kopf des Winzlings gefehlt. Er war äußerlich leicht verletzt, konnte die Augen nicht öffnen. Nach einer Überwinterung im Ei nicht unbedingt verwunderlich, aber Grund zur Besorgnis. Wahrscheinlich war das Baby, grade aus dem Ei geschlüpft, von Elstern oder anderen Vögeln geschnappt und auf dem Weg „abgeworfen“ worden.

Eine Naturbrut, die man in unseren Breiten eigentlich für unmöglich hielt. Dazu noch die Tatsache, dass das Baby im Ei überwintert hatte, somit fast ein Jahr im Ei gelebt haben musste. Ganze neuneinhalb Gramm wog das Schildkrötenbaby. Etwa halb so viel wie ein Schlüpfling seiner Art normalerweise wiegt. Neuneinhalbgramm, das wurde sein Name
Die Inkubationszeit eines Schildkröteneies liegt normalerweise bei zwei bis drei Monaten und Temperaturen zwischen 25 und 35 Grad. Das winzige Krötchen war bis auf eine Miniverletzung am Vorderbein okay, als wir es fanden, aber nicht wirklich aktiv. Kein Wunder bei den Temperaturen und wenn man fast ein Jahr in einem Ei war. Die anfänglichen Augenprobleme legten sich in den Wochen darauf, das Baby war mobil und aktiv und hatte guten Hunger.

Seit fast 20 Jahren leben bei uns die weiblichen und männlichen Schildkröten dauerhaft getrennt, weil trotz großer, strukturierter Gehege die Belästigungen der weiblichen Tiere durch die Jungs nicht mehr okay waren. Zuchtabsichten gibt es sowieso keine, warum also der Stress. Vor 15 Jahren, Jahre nachdem die weiblichen zu den männlichen Schildkröten Kontakt hatten, hatten wir bereits die Überraschung einer Naturbrut, die einer unserer Hunde fand, und wissen seitdem um die Sache mit der Fähigkeit zur jahrelangen „Spermaspeicherung“…

Gelege werden seit dieser Erkenntnis auch in den Gehegen der reinen Mädelsgruppe entfernt. In den anderen, wo wir nicht sicher sein können oder wissen, die Tiere kommen aus gemischtgeschlechtlichen Haltungen, entfernen wir Gelegen sowieso. Sofern sie auffindbar sind. Und da ist der Haken. Bei der Größe, dem Wildwuchs und da wir nicht 24 Stunden bei den Schildkröten sind, überhaupt keine sichere Sache. Ordentliche Schildkrötenweibchen hinterlassen keine Spuren, nachdem das Nest voll und verschlossen ist. Kameraüberwachung ist bei der Größe unserer Gehege nicht praktikabel.

Lange Zeit dachten alle: Kein Problem. Die Eier werden in Deutschland im Freiland eh nichts. Neuneinhalbgramm, dazu die Naturbrut vor 15 Jahren, damals lebten wir noch im Mittelgebirge (der Herr lebt auch heute noch bei uns und heißt „Das Baby“), die Naturbruten aus Brandenburg, die seit drei Jahren bei uns sind, nachdem sie einfach draußen bei Menschen aus einem Erdhügel kamen, die viele Monate zuvor die Schildkrötenhaltung aufgegeben hatten.

Das Baby aus dem Mittelgebirge und die drei Brandenburger Naturbruten sind gesund und munter. Alle schlüpften, wann Schildkröten eigentlich schlüpfen sollten: im Sommer. Vielleicht war der Winter im Ei das Problem und das Baby doch noch nicht bereit, zu schlüpfen. Abgesehen von der Tatsache, dass es über ein Jahr brauchte, um sein Schlupfgewicht nur knapp zu verdreifachen, in den letzten Tagen fiel auf, dass Neuneinhalbgramm inaktiver wurde. Müde. Eine Ursache dafür konnten wir weder gesundheitlich noch klimatisch ausmachen. Dass das Baby einfach über Nacht stirbt, damit hätten wir dennoch nicht gerechnet.

Wir hätten uns 100 Jahre für Neuneinhalbgramm gewünscht. Vielleicht funktioniert es einfach doch nicht, gesund und überlebensfähig zu sein, wenn man als Schildkrötchen im Ei im Norden überwintert und dann noch gleich mit einem schweren Unfall ins Leben startet.

Adieu, Neuneinhalbgramm.

Abschied von Bruhuhni

Sie war eine der drei Bruhnhilden, die letzten Sommer als Notfall ins Land der Tiere kamen. Ihr Halter, der die Hühner sehr liebte und umsorgte, konnte sich nicht mehr um sie kümmern. Die „Lösung“ seiner Frau: töten. Einfach, weil sie sich nicht kümmern wollte. Zum Glück fanden die Schwiegertochter und Enkel, dass das überhaupt keine Lösung ist und brachten die Hühner in das Land der Tiere – und retteten ihnen so das Leben.

Bruhuhni, wie die „rote“ Bruhnhilde von einigen von uns genannt wurde, war die Art Person, die immer mit dabei ist. Keck, aufmerksam, schnell im Kontakte knüpfen, klar im Ansagen machen. Ihr Leben im Land der Tiere gestaltete sie sich so, wie sie wollte. Suchte sich ihre Clique an Freundinnen, erforschte das große Gehege jeden Tag aufs Neue. Hauptsache da, wo auch die Action ist.

War sie anfangs viel agiler, mehr dabei, hatte Bruhuhni in der letzten Zeit abgebaut. Sie döste mehr, blieb öfter bei „den Gemütlicheren“ zurück, nahm nicht mehr jeden Ausflug mit. Sie war knapp dreieinhalb Jahre alt, überhaupt kein Alter für Hühner – eigentlich. Wäre da nicht die Zucht und ihre Folgen.

Ja, auch die Hühner aus „Nachbars Garten“ sind davon betroffen. Auch sie legen deutlich mehr Eier, als es körperlich „nötig“ wäre. Die Zucht auf eine hohe „Legeleistung“ raubt den Hühnern mehrere Lebensjahre und macht sie kaputt. Wie unfassbar anstrengend es sein muss, so viele Eier zu legen, ist kaum greifbar für uns Menschen. Im Land der Tiere sehen wir die Folgen: angegriffene Gebärorgane, Tumore, Entzündungen, Legedarmvorfälle. Hühner, die ausgelaugt sind, die spüren, dass ihre Körper nicht mehr können. Und das nur, weil Menschen ihre Körper so gezüchtet haben, dass sie ihnen „nutzen“: Um möglichst viele Eier zu legen.

Eier zu essen, eine Idee, auf die wir gar nicht kommen würden. Wissen wir doch, dass das viele Eierlegen auch geretteten Hühnern zum Teil mehr als zwei Drittel ihrer Lebenserwartung klaut und ihre Körper zerstört.

Bruhuhni hat sich nicht mehr erholt, ihr Zustand wurde rasant schlechter. Ihr Körper hat aufgegeben, wir konnten nichts mehr für sie tun. Sie ist friedlich in ihrem Zimmer eingeschlafen.

Adieu, Bruhuhni.

Abschied von Maiella

Ein bisschen mehr als ein Jahr größtmögliche Freiheit hatte sie. Maiella, gerettet aus einem Bodenhaltungsbetrieb für „Elterntiere“. Maiella, die über hundertmal in ihrem Leben Mutter wurde und keines ihrer Kinder je kennenlernen konnte, weil sie von Menschen künstlich als „Legehennen“ ausgebrütet wurden. Maiella, die zusammen mit ihren Freundinnen Maike und Maianne am Muttertag 2023 ins Land der Tiere einzog, wo sie endlich einfach für sich leben konnte.

Sie machte das Jahr zum Besten ihres Lebens, holte nach, was sie alles verpasst hat. Maiella war so sehr sie selbst, wie es nur möglich war: sie strotzte nur so von Selbstbewusstsein, war gesprächig, mutig, neugierig, immer auf Achse. Sie genoss unzählige Sand- und Sonnenbäder zusammen mit ihren Freundinnen, raste von einer Ecke des Geheges zur anderen, um die erste am Apfel zu sein. Klärte Besucher*innen mit ihrer unterhaltsamen Art auf, dass Hühner wie sie leben wollen. Nicht, um Eier zu legen. Sondern um ihrer selbst willen.

Die allermeisten Hühner haben nie diese Chance, die Maiella hatte. Können nie den Himmel sehen, Sonne spüren, Zeit mit den Freundinnen verbringen, die sie mögen, und den anderen aus dem Weg gehen. Dabei sein, wenn was los ist, weil in den ganzen Betrieben, in den Hühner wie Maiella leben, nichts los ist – Langeweile, Stress, katastrophale Zustände sind das, was sie kennen. Ihr ganzes kurzes Leben lang.
Von den körperlichen Beschwerden mal ganz abgesehen. Auch Maiella machte die Zucht auf eine hohe „Legeleistung“ zu schaffen, die Folgen zeigen sich oft durch Probleme mit den Legeorganen. Es ging ihr vor einigen Wochen merklich schlecht. Nach Hormongaben und Antibiotikabehandlung verbesserte sich ihr Zustand extrem. Ihre zweite Rettung.

Wenn es ihr gut ging, war Maiella unfassbar präsent. Genau das Fehlen dieser Präsenz war, was auffiel, an diesem Mittwochnachmittag. Maiella, die immer zuverlässig angerast kommt, wenn Menschen ihr Gehege betreten oder irgendetwas los ist, kam nicht angerast. War nicht mit den anderen unterwegs. Ging es ihr wieder schlechter? Die Suche nach ihr ließ nichts Gutes ahnen, dann fanden wir rote Federn an einer ihrer Lieblingssandbadestellen.

Vermutlich wurde Maiella beim Sandbaden überrascht, ihre Mitbewohnerin Pute Lotta in ihrem gut versteckten Nest im Gebüsch. Wahrscheinlich war es ein Marder, der innerhalb von Sekunden tötete. Ein Marder, der sich nicht an die Regeln der Nachtaktivität hielt, vielleicht eine Mutter oder ein Jungtier auf der Suche nach einem neuen Revier und mit noch nicht ausgeprägtem Selbstverständnis, sich fernzuhalten dort, wo auch Hunde und Menschen sind. Und nur nachts unterwegs zu sein, wenn alle Hühner und Puten in ihren sicheren Zimmern längst schlafen.

Seither ist das Gehege der Hühner-Enten-Pute-WG tagsüber permanent unter menschlicher Dauerbewachung, nachts die Wildkamera aktiv. Wahrscheinlich ist der Marder längst weitergewandert – aber trotzdem haben wir Angst. Trotz bester Sicherung, hohen Zäunen, Untergrabungsschutz und Stromlitzen gegen Füchse, unendlich vielen Versteckmöglichkeiten zur Sicherheit vor Angriffen aus der Luft, die Anwesenheit von Menschen und Herdenschutzhunden: Es gibt keine 100%ige Sicherheit im Leben. Nicht im Leben eines Wesens, das wirklich lebt. Größtmögliche Freiheit, und die so sicher wie möglich, das ist das, was wir täglich versuchen, zu realisieren. Manchmal sind wir machtlos.

Maiellas Entdeckungsdrang war unbändig, sie genoss ihre Freiheit, kannte jeden Winkel ihres Geheges. Sie hatte so viel verpasst, so viel nachzuholen, so viel zu erleben und machte aus jedem Tag den besten, der er nur sein konnte. Wir hätten ihr noch so viele mehr dieser besten Tage gewünscht.

Adieu, Maiella.

Abschied von Norma

Wir trauen mit Walter um Norma. Walter, der lange Zeit alleine lebte und dann ins Land der Tiere zog, um der genauso einsamen Norma Gesellschaft zu leisten. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, aber es war ein friedliches Miteinander, die beiden kuschelten, lebten zusammen. Norma „hatte die Hosen an“, für Walter war das absolut okay.

Bevor Norma einzog, saß sie drei Jahre oder länger allein in einem kleinen Außenstall, ihr Zustand war schlecht, als Tierschützerinnen sie retteten. Für das Kaninchen im Stall nebenan kam jede Hilfe zu spät. Norma verbrachte längere Zeit zur Behandlung in einer Tierarztpraxis. Aus der Hoffnung ihrer Retterin, für Norma in der Zwischenzeit einen guten Lebensplatz zu finden, wurde nichts. Wir sagten ihr einen „Notfallplatz“ zu – und Norma, die oberängstlich war, nahm diesen nun seit Juli 2023 in Anspruch. Und entwickelte sich von der oberängstlichen zur vergnügten, selbstbewussten und gar nicht mehr ängstlichen Häsin.

Unsere Hoffnung, Norma in die „Zwergengruppe“ integrieren zu können, erwies sich als Fehleinschätzung. Einer der kleinen Herren, Zwerg Poppins, war absolut nicht damit einverstanden, mit Norma zusammenleben zu sollen und verletzte sie ziemlich böse. Aus einer Vergesellschaftung wurde nichts – und die mittlerweile sehr aufgetaute Norma passte auch in keine der anderen Kaninchengruppen.

Alleine bleiben konnte sie keineswegs. Platzangebote als Gesellschafterin gab es für sie auch keine. Also begaben wir uns auf die Suche nach einem passenden Kumpel für Norma. Der fiel dann sozusagen vom Himmel: Eine Hamburger Kita wollte nach dem Tod des vorletzten Kita-Kaninchens die Kaninchenhaltung beenden und suchte für das „übriggebliebene“ Kaninchen einen Platz. Walter zog ein. Und es passte. Norma traf die Entscheidungen, Walter war sehr zufrieden damit.

Als beide zusammen im Land der Tiere ihr altes Zimmer mit kleinem Garten eintauschen konnten gegen ein neues, großes mit Riesengarten, der so viel Grün hatte, dass das definitiv keine zwei Kaninchen aufessen können würden, war ihr Glück perfekt. Sie hatten nicht unsere Gedanken: Was ist, wenn eines dieser zwei Kaninchen, die zwischenzeitlich nochmal ihre Inkompatibilität mit anderen Kaninchen unter Beweis gestellt hatten und einen Vergesellschaftungsversuch platzen ließen, stirbt? In Walters Alter, bei Normas nicht stabilem Zustand war vorhersehbar, dass irgendwann Walter oder Norma dasitzen würden und trauern.

Norma hatte schon lange Herzprobleme. Und dachte nicht daran, sich zu schonen. Nach manchen Draußenbaustellen wie Unterkellerungsversuchen unter Hausnummer 2 war sie sehr angestrengt und platt. Für sie kein Grund, das nicht zu tun. Nach einer ausgiebigen Siesta unterm Flieder im Schatten machte sie voller neuer Energie weiter. Und dann wieder Pause. Und weiter. Sie hatte so lange alleine in einem winzigen Stall gehockt, das Leben verpasst, irgendwie war da „Nachholbedarf“. Norma hat nachgeholt, viele Jahre in nicht mal einem Jahr. Alles Gute mitgenommen.

Norma Nachmittags nicht draußen herumhoppeln zu sehen war nicht ungewöhnlich. Sie lag dann irgendwo versteckt unter den Bäumen. Spätestens zur „Bettgehzeit“ kam sie fast immer unaufgefordert zusammen mit Walter zum Abendessen angehoppelt. Doch Norma kam nicht. Wir fanden sie an ihrem Lieblingsmittagsschlafplatz unter den Bäumen. Sie lag ganz friedlich dort, ihr Herz hatte einfach während sie schlief aufgehört zu schlagen.

Adieu, Norma.

Abschied von den letzten drei Kalkbeins

Eigentlich sollte das Land der Tiere für sie nur eine Zwischenstation sein. Als uns im Juli 2023 die Anfrage erreichte, ob wir eine Gruppe älterer Hühner aufnehmen können, weil ihr 92-jähriger Halter nicht mehr in der Lage war, sich zu kümmern, hatten wir zeitgleich ein Hühneraufnahmeangebot von privat. Doch bei der Ankunft der acht Hühner war schnell klar, dass sie im Land der Tiere bleiben würden.

Ihr Zustand war katastrophal: Die Füße zerfressen von Grabmilben, einigen fehlten Krallen und Zehen und die Metallringe zum Teil eingewachsen. Sie müssen lange Zeit gelitten haben, weil der alte Herr, bei dem sie lebten, nicht sah, dass sie krank sind und leiden. Sofort war erste Hilfe notwendig, gleich nach ihrem Einzug mussten die Kalkbeins die erste intensive Behandlung mitmachen. Die Hühner stellten sich als äußerst geduldige und tapfere Patientinnen heraus.

Die lange Vernachlässigung hatte bleibende Schäden hinterlassen. Zudem waren sie alt, bereits älter als „Hochleistungslegehennen“ wie sie normalerweise werden. Uns war bewusst, dass die Kalkbeins keine lange Zeit haben würden.

Bald wuselten sie mit den anderen Hühnern durch ihr neues Gehege. Von ihren kaputten Füßen ließen sich die Kalkbeins nicht allzu sehr aufhalten. Liefen, so gut sie eben konnten. Ihre täglichen Verarztungsrunden ertrugen sie mit bewundernswerter Gelassenheit. Die Kalkbeins gingen alles etwas gemütlicher an als die anderen, brauchten deutlich mehr Verschnaufpausen, waren aber auch immer mal wieder bereit für ein paar kleine, entspannte Abenteuer. Am liebsten waren sie dabei zusammen. Eben eine enge Gemeinschaft vertrauter Hühnerfreundinnen.

Doch die jahrelange Vernachlässigung und ihr Alter holten sie ein. Nach und nach mussten sie sich von ihren Freundinnen verabschieden. Die letzten drei Überlebenden nahmen den Frühlingsbeginn noch mit. Erlebten, wie alles wieder grün wurde in ihrem Gehege. Und dann ging es erst „Hahnni“ schlechter. „Hahnni“, die ein bisschen aussah wie ein Hahn, mit dem präsenten Blick, stets neugierig und sehr aufmerksam, baute ab. Sie starb einfach nachts friedlich im Beisein ihrer verbliebenen Freundinnen. Auch „Gloria“ Kalkbeins Zustand verschlechterte sich. Ist sie vorher noch immer sehr aktiv gewesen und überall mit herumgerannt, ihren Füßen zum Trotz, war sie nun zunehmend abwesend. Gloria hatte noch ein paar gute, wache Momente, wo sie nochmal draußen unterwegs war. In der Nacht vor dem bevorstehenden Tierärztin-Termin ist sie ist von alleine eingeschlafen. Die letzte überlebende Frau Kalkbein, einige von uns nannten sie „Barbara“, hatte über mehrere Tage hinweg stark abgebaut. Barbara war gesellig, interessiert an allem und allen, döste am liebsten unter ihrem Lieblingsstrauch mit ihren Freundinnen. Leider konnten wir auch für sie nichts mehr tun. Sie wurde friedlich in der Praxis eingeschläfert.

Die Folgeschäden, die das Nichtkümmern ihres ehemaligen Halters nach sich zog, konnten wir nicht mehr ausgleichen, gegen ihre Genetik, die Hennen Jahre eines Lebens kostet, waren wir sowieso machtlos.

Die Kalkbeins haben im Land der Tiere nach dem Motto „immer alle zusammen“ gelebt. Alles wurde gemeinsam gemacht, niemand sollte allein sein. Ein bisschen so sind sie auch gestorben, kurz hintereinander, möglichst beisammen.

Adieu, ihr Kalkbeins.

Abschied von Grisela

Warum wir keine Eier essen? Auch nicht Bio oder „vom Bauern nebenan“, ja sogar nicht einmal die Eier von geretteten Hühnern, die bei uns ein gutes Leben führen?

Weil es sich nicht gut anfühlen würde. Wegen Hennen wie Griesela. Ein unfassbar charmantes Huhn. Sie war eine von denen, die als Zuchttiere für die Produktion von „bunten Legehennen für den privaten Gebrauch“ benutzt wurde. Ein hübsches, graues Huhn, dem man nicht ansah, dass auch sie zu den „Turbohennen“ gehörte, die zwar nicht 300 Eier pro Jahr, wie die im kommerziellen Eier-Bereich benutzten Hühner, sondern „nur“ 250 Eier legte. Und dann auch noch „ganz besondere Eier“, nämlich mit grüner Schale. Auf diese spezielle Eierschalenfarbe werden die Hennen auch namentlich reduziert: man nennt sie „Grünleger“. Auch „Schokoleger“ gibt es heute, die bunten Eier erfreuen sich hoher Beliebtheit, nicht nur zu Ostern, ungefärbt hübsch bunt. Da denkt man ungerne an die Hennen, die die bunten Eier legten. Und wenn? Dann hat man meist völlig falsche Vorstellungen und irgendein grünes Idyll vor Augen.

Grisela lebte bis Mai 2021 anderthalb Jahre in ihrem „Hühner- und Eierproduktionsbetrieb“. Anderthalb Jahre Bodenhaltung auf ein paar Quadratmetern mit anderen Hühnern ihrer „Rasse“, ohne jemals draußen gewesen zu sein. Anderthalb Jahre eingesperrt sein, keine Sonne haben, nicht sandbaden können, Eier legen. Ausgebrütet hat sie in der Zeit kein einziges Ei: das erledigen Maschinen.

Ihr körperlicher und seelischer Zustand war furchtbar und der Zeitpunkt da, wo sie und die anderen 1500 Hennen des Bodenhaltungsbetriebes geschlachtet werden sollten. In einer großen Rettungsaktion konnten alle über 1500 Hühner gerettet werden und Grisela und fünf weitere Hennen zogen ins Land der Tiere ein. Heute, keine drei Jahre später, lebt nur noch eine von ihnen. Eigentlich haben Hühner eine Lebenserwartung von 10-15 Jahren. Aber nicht solche Hühner, wie Grisela eins war.

Es ging ihr und den anderen Hennen sehr schlecht, als sie ins Land der Tiere einzogen. Ihre Körper waren ausgemergelt, alle waren sehr krank: Bakterien, Würmer, Darmpilz, die angezüchtete hohe „Legeleistung“ und die Haltung hatten schlimme Spuren hinterlassen. Nach über einem Monat in Quarantäne und medikamentösen Behandlungen konnten wir Grisela und die anderen endlich das erste Mal in ihrem Leben nach draußen lassen. Vorsichtig aber voller Neugier haben sie angefangen, die Welt da draußen zu erkunden, die ersten Sonnen- und Sandbäder zu genießen, herumzulaufen in Klee und Wiese, den Himmel anzuschauen, sich den Wind ums zerzauste Gefieder wehen zu lassen – und endlich mit einem echten Hühnerleben zu beginnen.

Grisela stach nicht nur wegen ihrer Farbe aus der zerzausten Hühnergruppe hervor. Sie war so voller Tatendang und Neugier, dass sie schnell anfing, eigene Wege zu gehen und morgens gleich durchstartete, um die Tiere im Nachbargehege zu besuchen. Vor allem, wenn sie jemanden von uns Menschen dort sah, kam sie sofort über den Zaun geflogen. Begleitete uns bei unserem täglichen Tun. Ein bisschen war es, dass sie immer schon auf dem Weg zu uns war und während wir noch überlegten, ob wir Grisela rüber rufen, kam sie schon. Vielleicht mit dem Plan, sich eine Weile beim Zimmerputz behilflich zu zeigen – ihre Spezialität war das Herumsitzen in Einstreueimern- und Säcken, was nicht so richtig hilfreich, aber unglaublich charmant war – oder einfach uns nahe zu sein?

Nahe war sie uns. Grisela lebt nicht mehr. Gestorben an den Folgen dessen, wofür sie gezüchtet wurde.

Warum wir keine Eier essen? Weil es sich anfühlen würde wie „Verrat am Huhn“, das doch eigentlich Eier legt, um sie auszubrüten. Und vor allem: eigene Interessen und jede Menge Lust aufs Leben hat. Weil das viele Eierlegen dazu führt, dass die Lebenserwartung eines solchen Huhns um zwei Drittel Lebenszeit oder noch mehr reduziert wird. Lebenszeit, die sie genossen hätte – Zeit, die Grisela und anderen „Legehennen“ genommen wird.

Adieu, Grisela.

Abschied von Paulchen

Als wir Paulchen vor vier Jahren kennenlernten, waren sie und ihre Tochter Brigitte „Angst pur“. Und das, obwohl sie ihre Besitzerin, die früher Schafe als Nutztiere hielt, davon überzeugt hatten, dass es gut ist, damit aufzuhören und Schafe einfach Schafe sein zu lassen – leben zu lassen. Lämmer nicht zu schlachten, Schafe überhaupt nicht mehr „zu nutzen“.

Paulchen war zu dem Zeitpunkt, wo sich ihre Besitzerin aus Altersgründen von ihr und Brigitte trennen musste, was ihr sehr schwerfiel, 13 Jahre alt. Und eine „gesundheitliche Baustelle“. Einzellige Parasiten hatten ihren Darm nachhaltig geschädigt. Paulchen war damit „Dauerpatientin“.

Als sie und ihre Tochter zu uns kamen, hätten wir nie gedacht, dass wir überhaupt jemals an sie rankommen, ihr Vertrauen gewinnen können. Sobald wir bei den Schafen auftauchten, waren Paulchen und Brigitte: weg. Auf der Flucht. Nach einiger Zeit – ob die anderen Schafe es ihr flüsterten oder wie auch immer – begann Paulchen, ganz langsam Vertrauen zu finden. Begab sich nicht mehr auf sie Flucht, wenn Menschen kamen. Und irgendwann stand sie da und ließ sich streicheln.

Ließ sich ohne Angst behandeln. Es war immer wieder notwendig, durch ihre Darmschädigung war sie „Durchfalldauerpatientin“. Baden, waschen, Medikamente: überhaupt kein Problem für Paulchen. Paulchen wurde regelrecht anhänglich. Sehr anhänglich. Und überzeugte sogar ihre Tochter davon, dass sie keine Angst mehr haben muss. Irgendwann kam Brigitte. Holte sich einen Keks ab. Ließ sich anfassen. Immer und bis heute ein bisschen mit so einem „was tut ich hier, ist das WIRKLICH OKAY“-Blick. Oh ja, es ist okay, Brigitte.

Die Integration in die Schafgruppe schafften beide super schnell. Auch dort entstand Vertrauen, entstanden Freundschaften. Freundschaften, die jetzt Brigitte helfen. Brigitte, die nun ohne ihre Mutter ist.

Paulchen hat uns nicht Bescheid gesagt, dass sie geht. Es geschah plötzlich und unerwartet, auch wenn der Tod bei einem 17-jährigen „Patientinnenschaf“ eigentlich immer nahe ist. Paulchens letzte Tage waren ohne größere Probleme, schöne Tage, wo sie mit Brigitte und den anderen herumzog. Paulchen starb in der Nacht, ohne Ankündigung. Die anderen Schafe waren bei ihr, konnten Abschied nehmen, ihren Tod akzeptieren – wie wir es jetzt auch müssen.

Adieu, Paulchen.