Seit wir die Rettung, das Leben und das Sterben der ersten sechszehn „Mast“-Puter, die als Küken ins Land der Tiere einzogen, begleitet haben, ist da ein Haufen Liebe, ein Haufen Trauer – und keine kleine Illusion übrig, dass Tiere wie sie mit uns alt werden können.

Bei jedem einzelnen hofften und hoffen wir, mehr Lebenszeit für ihn herausschlagen zu können. Den Zeitpunkt hinauszögern zu können, wo der schwere Riesenkörper zusammenbricht, dessen Brust für die maximale „Fleischausbeute“ so hingezüchtet wurde, dass sie ein Drittel des Vogelgewichtes ausmacht. Ein monströser Brustmuskel, der 10 Kilo wiegt und den Körper zwangsläufig nach unten und vorne zieht, bis Beine und Hüfte unter seiner Schwere kapitulieren. Dazu jede Menge organische Probleme infolge genetischer „Fettleibigkeit“.

Die Hälfte der sechszehn Jungs beerdigten wir, bevor sie ein Jahr alt waren. Ein einziger wurde zwei Jahre alt. Der, von dem wir hofften, ihn noch jahrelang um uns zu haben. Es war illusorisch.

Als Bibo vor anderthalb Jahren ins Land der Tiere einzog, ließen sich Gedanken daran, dass auch er uns bald wieder verlassen würde, nicht verdrängen. Schon als Küken war er sterbenskrank, eigentlich dachten wir, er könnte nicht einmal „die mittlere Überlebensstatistik geretteter männlicher Puten“ halten. Bibo überlebte. Wurde erwachsen. Sogar ein frühes Hüftproblem besiegte er. Sein Körperbau taugte zu mehr als bei vielen Artgenossen. Bibo blieb schlank und groß, sackte nicht im Wachstum plötzlich durch das Eigengewicht nach unten. Und Bibo blieb, nachdem er schon über ein Jahr alt war, so sportlich, dass es ihm eine echte Freude war, auf das extra hoch angelegte Futterlager zu fliegen und die Futtereimer in hohem Bogen auszuleeren und sich mit dem erbeuteten Essen einen schönen Tag zu machen.

Bibo blieb nicht nur sportlich, sondern ein sanfter, lieber Typ. Längst nicht so protzig unterwegs wie der mit ihm zusammen gerettete Claudius, sondern eigentlich immer freundlich. Uns und gegenüber seinen Mitbewohnerinnen absolut liebenswert. Jemand, der keinen Streit suchte, sondern lieber kuschelte. Seine genetische Unersättlichkeit bisweilen eine nervraubende Angelegenheit, die dazu führte, dass sogar saubermachen mit ihm zusammen eine derart sportliche Herausforderung war, weil er sich auch über die Einstreu hermachen wollte. Es war empfehlenswert, Bibo nur mit ausgeklügelten Taktiken zu bedienen.

Und dann, ohne Vorwarnung. Bibo aß nicht. Es ging ihm schlecht, wir fanden keine Spur, wo das Problem liegen könnte. Er ließ uns keine Zeit für den Versuch herauszufinden, woran er litt. Als er morgens nicht aufstehen, nicht einmal eine Weintraube essen wollte und seine dunkelrote Gesichtsfarbe verriet, dass es ihm sehr schlecht ging, dachten wir noch nicht an Abschied, sondern an einen Tierarzttermin. Als wir ihn alleine ließen, legte er sich im Haus in ein Strohnest. 10 Minuten später fanden wir ihn dort, leuchtend himmelblau und rosa am Kopf, der Farbe, die Puten, die sich maximal wohlfühlen, haben. Bibo war gestorben.

Wir haben ihn beerdigt ohne nachzuforschen, welches seiner Organe versagte und seinen Tod verursachte. Mit anderthalb Jahren war er „biologisch uralt“ für einen als Mastputer gezüchteten Vogel und egal wie wir uns bei jedem seiner Art wünschen, doch mehr Lebenszeit herausschlagen zu können: Wir können es nicht. Wir können sie davor bewahren, misshandelte Ware zu sein, als Mastvögel zu leben, im Alter von wenigen Wochen geschlachtet zu werden. Bibo konnte ein freies, friedliches Leben führen, erwachsen werden, Freund sein.

Adieu, Bibo.

Schwein Pauline im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

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Hündin Nica im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

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