„Pass auf und nimm besser einen Eimer mit, wenn du zu ihm reingehst.“

Wenn er eines perfekt konnte, dann die naive Theorie von der Dankbarkeit geretteter Tiere ihren Retter*innen gegenüber widerlegen. Dass er den Namen Don Krawallo verpasst bekam, war der Tatsache geschuldet, dass er die meisten Menschen – auch sein aufopferndes Dienstpersonal – ohne Wenn und Aber aus seinem Revier verjagte, Füße, Flügel und Schnabel voraus.

Die aufgrund von ständigem Kontakt mit ihm ganz Vertrauten schafften es unter Zuhilfenahme eines unauffälligen Eimers, immer bedacht positioniert zwischen ihm und den eigenen Beinen, zweieinhalb Jahre lang mit ihm zusammenzuleben und zu arbeiten, ohne von ihm gebissen zu werden. Was nicht heißt, dass es von seiner Seite aus jemals „Liebe“ gewesen wäre. Maximal so etwas wie Akzeptanz konnten man von ihm erwarten. Sein gutes Recht.

Am Tag, als wir ihn kennenlernten, war er noch ein winziges, flaumiges Küken. Hilflos. Zusammen mit fünf anderen Küken wurde er aus einer Mastanlage gerettet. Maximal 42 Tage bis zum Schlachttag stand ihm und den anderen Küken bevor. Sechs Küken, zufällig „ausgewählt“ aus einer Menge von Tausenden piepsenden Küken, die alle nie die Chance hatten auf ein Leben. Auf Familie und Freundschaften. Freiheit. Grüne Wiese. Die sechs zufällig Geretteten bekamen den Namen „Die Wiesengrüns“.

Die Wahrscheinlichkeit, dass alle sechs erwachsen werden, war gering. Die Mastgenetik mit den überschweren Körpern und Turbowachstum bringt schon viele Millionen Masthühner und –Hähne in den ersten Lebenswochen um. Die Beine versagen, sie fallen auf den Rücken und ersticken, sterben an Herz-Kreislauf-Problemen, liegen sich wund, sterben an Infektionen. Nicht die Wiesengrüns. Alle sechs überlebten die erste kritische Zeit. Aus den Küken wurden vier Hähne, zwei Hennen. Ungefähr Statistik eben.

Krawallo war der erste der Hähne, der anfing zu streiten. Während die anderen drei noch „ein Herz und eine Seele“ waren, krawallte er herum und stritt. Die drei anderen zogen in ein anderes Gehege um, Krawallo hatte allen Grund, sehr glücklich zu sein: die Wiesengrün-Mädels blieben nämlich bei ihm. Er machte alles, was ein Hahn tun muss und lebte lange Zeit glücklich mit seinen Mädels zusammen.

Es tat uns unendlich leid, dass wir ihm irgendwann die beiden Damen entführen mussten. Es gab keine Alternative. Nach vielen Versuchen und Maßnahmen, seine Liebesdienste an den Damen Wiesengrün für diese verletzungsfrei hinzubekommen, kapitulierten wir irgendwann. Weder Krallenschleifen noch gepolsterte Fußverbände an Krawallo, die er stolz herumtrug und eine Zeit lang eine sehr erfolgreiche Lösung waren, konnten am Ende Verletzungen an den Hennen, die er ihnen ohne böse Absicht beim Besteigen zufügte, verhindern. Sein schwerer Mastkörper war der Auslöser des Problems.

Krawallo blieben also nur noch seine Puten. Und die täglichen Flirts durch den Zaun mit den Nachbarinnen, einer kleinen bunten Hennengruppe – Hennen, zu denen wir ihn nie dazu lassen konnten. Seine vielen Kilos Körpergewicht hätten sie getötet, wenn er hätte tun können, was ein Hahn eben tut. Mit den Puten, egal ob Hennen oder Hähnen, war Krawallo immer gänzlich unkrawallig. Eher so ein kleinerer toller Beschützer, der immer bei ihnen war. Und einer von ihnen. Nachts neben ihnen, die in ihrem großen Strohbett schliefen, ganz dicht dabei auf einem Baumstamm mit erhöhter Aussicht.

Die vergangenen Wochen schlief Krawallo zusammen mit Pute Lotta in einer kleinen Hundehütte im Putenzimmer. Weil Lotta sich diese als Nest eingerichtet hat. Dass er zu so zärtlichem Verhalten fähig war, viele Menschen, die von ihm gemobbt und angegriffen wurden, hätten es wahrscheinlich nicht für möglich gehalten, dass es auch einen gänzlich unkrawalligen, äußerst liebevollen Krawallo gibt.

Jetzt liegt seine Lotta alleine in ihrem Nest. Krawallo starb einfach in der Nacht, ohne spezielle Vorankündigung, nach zweieinhalb Jahren Leben im Land der Tiere. Bereits seit geraumer Zeit hatte er Herz-Kreislauf-Probleme, ein typisches Problem der schweren „Mast“-Hähne. Jemand wie er, gezüchtet in einen Körper, der keine lange Lebensdauer zulässt, ist mit zweieinhalb Jahren „biologisch uralt“. Zweieinhalb Jahre Zeit, zu sein, wer er war, ohne jemals ernsthaft krank oder krawallunfähig zu sein. Ob Lotta ihn vermisst? Ist wahrscheinlich wirklich keine Frage: natürlich.

Adieu, Don Krawallo Wiesengrün.

Schwein Pauline im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

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Hündin Nica im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

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