Alberti wird als traurigstes Meerschweinchen in unsere Geschichte eingehen – und als derjenige, der es schaffte, 18 andere Meerschweinchen zu retten.
Albertis Leben war wahrscheinlich immer nur schlecht. Sein Verhalten war das eines resignierten Einzelmeerschweinchens, das nie Freude am Leben hatte. Wahrscheinlich saß er jahrelang in einem kleinen Stall – und hatte nichts und niemanden. Diejenigen, die er hatte, also denen er „gehörte“, setzten ihn vor ein paar Monaten in einer Transportbox neben einem Waldweg aus.
Ab da bzw. ab dem Zeitpunkt, wo er von Spaziergängern gefunden wurde, unweit vom Land der Tiere, sollte eigentlich alles gut werden. Alberti zog bei uns ein – und sollte endlich ein gutes Meerschweinchenleben haben können. Mit allem, was dazu gehört. Gesellschaft stand ganz oben auf der Wunschliste für ihn.
Alberti wurde kastriert, um ein paar Wochen später andere Meerschweinchen kennenlernen zu können. Da dachten wir noch daran, ihn vielleicht zu vermitteln an liebe Leute zu ein paar netten Meerschweinchendamen. Nach der Kastration dachten wir das sehr schnell nicht mehr. Denn alles war richtig schiefgelaufen. Die äußerliche Wundheilung verlief sehr gut. Zwei-drei Wochen später saß er in einem seiner Häuser wie ein Eremit und es ging ihm sichtbar schlecht. Der Grund: ein dicker Kastrations-Abszess.
Der aufgeschnitten werden musste. Nochmal Narkose. Danach jeden Tag Wundspülungen, Medikamente. An einem Tag spülten wir nicht nur Eiter, sondern auch noch einen dicken Brocken totes Gewebe aus der Wunde. Als ob das nicht alles schlimm genug gewesen wäre, während wir den einen Abszess spülten und behandelten, schwoll ein paar Tage später auch die andere Seite… der zweite Kastrationsabszess.
Wir besiegten die Abszesse. Aber in ihn hereinschauen konnten wir nicht. Und was noch alles passierte, wir hätten es ihm gerne erspart. Alberti bekam zunehmend Probleme mit dem Kotabsatz. Der Grund: es sammelte sich das meiste davon in einer übergroßen, schlaffen Perianaltasche, die vor der Kastration so nicht existierte, und verklumpte dort. Für Alberti bedeutete das, dass wir ihn jeden Tag von seiner Ansammlung, die er alleine nicht loswurde, befreien mussten und er natürlich täglich Schmerzmittel bekam.
Auch das reichte noch nicht des Schlechten. Er bekam dann seinen Penis nicht mehr selbständig zurückgezogen. Den putzten wir also einfach jeden Tag mit und positionierten ihn dahin, wo er eigentlich sein sollte. Alberti ließ es über sich ergehen.
Ein Versprechen lösten wir zwischenzeitlich ein: das mit der Gesellschaft. Wir dachten die ganze Zeit: „wenn es irgendwo drei alte Meerschweinchenmädels gibt, die ein Zuhause suchen, ziehen sie ein“. Und dann kam alles ganz anders, in zweierlei Hinsicht. Denn aus der Rettung von „drei Meerschweinchen für Alberti“ wurde die Rettung von 16 Meerschweinchen. Das wussten wir allerdings erst, als alle schwanger geretteten Tiere ihre Babys bekommen hatten. Viel früher schon wussten wir, dass Alberti völlig überfordert sein würde, allein schon Sichtkontakt mit denen, die seine Gesellschaft sein sollten, lehnte er ab. Zog sich zurück in die hinterste Hütte.
Am Ende klappte es doch mit der Gesellschaft: drei alte Mädels, Abgabetiere, denen wir ohne Alberti bei der Vielzahl der Meerschweinchen nicht zugesagt hätten, zogen zu ihm, zwei davon „gesundheitliche Baustellen“. Dass ausgerechnet die, mit der er den Kontakt suchte, ganz vorsichtig, er sogar seine Eremiten-Buden mit ihr teilt, nur noch wenige Lebenstage vor sich hatte, es vervollständigte Albertis traurige Geschichte. Mit den anderen beiden hatte er keine großen Verträge. Man begegnete sich, aber mehr auch nicht. Albertis Highlights blieben nach wie vor unsere Möhren-, Gras-, Salat- und Paprikalieferungen.
In der Zwischenzeit hatte sich sein körperlicher Zustand noch mehr verschlechtert. Eins seiner Hinterbeine hielt er seit der Kastrationskatastrophe leicht schief, die Hüfte… Das wurde zunehmend schlechter, betraf dann auch das andere Hinterbein. Er eierte mehr als dass er lief – hoffentlich schmerzfrei dank Schmerzmitteln. Dass der Tag nah ist, wo er uns eindeutig sagt, dass sein Körper ihn quält, wurde in den letzten Wochen sehr klar. Heute war er dann so weit, das eine Hinterbein bereitete ihm solche Probleme, dass er sich selbst in sein Bein biss. Und wir mit ihm – mal wieder – in die Tierarztpraxis fuhren.
Das Röntgenbild war eindeutig. Alberti hatte Recht. Selbst wenn es eine Überlebensoption gewesen wäre, ihm das ganz schlimme Hinterbein amputieren zu lassen, dessen Knochen in Auflösung waren, wir hätten es ihm nicht angetan. Es gab keine andere Entscheidung, als ihn einschläfern zu lassen.
Wir wolten heute seine Patinnen und Paten informieren, dass Alberti gestorben ist. Er hatte keine, stellten wir fest – es passt zu seiner so traurigen Geschichte.
Alberti wird in unsere Geschichte eingehen, als derjenige, der es schaffte, 18 Meerschweinchen zu retten, die nur für ihn ins Land der Tiere einzogen. Und jetzt das Leben haben können, das er nie hatte.
Adieu, Alberti.
24. Oktober 2025



