Kater Klaus hat sie geliebt, die Sonnenuntergänge am Tor.

Und wir die Sonnenuntergänge mit ihm. Die Sonnenuntergänge an dem Tor zum Land der Tiere, wo er vor zehn Jahren bei Sonnenaufgang ausgesetzt wurde.

Als er „vom Himmel fiel“ dachten wir, okay, wir füttern ihn durch, kümmern uns, er bleibt oder geht wieder. Dass es dann wurde, wie es wurde, damit hat niemand gerechnet, außer vielleicht Klaus selbst: Es wurden zehn Jahre Glück daraus. Tiefe Verbundenheit. Viele Freundschaften, eine Menge Abenteuer und unfassbare Angst um ihn. Wegen der Abenteuer.

Als Klaus 2015 sozusagen „aus dem Nichts“ auftauchte, war das Land der Tiere noch ganz neu. Und er ein verängstigter, völlig unerfahrener, ungeschickter junger Kater. Kein „junger Wilder“ und auch kein Streuner aus der Gegend, sondern ein Jemand, der noch nie draußen war und selbst nicht wusste, wie er nun zu uns gekommen war. Er konnte nichts von dem, was ein Kater, der draußen überleben will, können muss. Nicht einmal auf einen Baum klettern. Von runter kaum zu reden.

Die einzige schlüssige Erklärung: An dem Tag, wo wir ihn das erste Mal sahen, war bei Sonnenaufgang ein Auto vorm Tor – und zu uns „verirrt“ sich niemand einfach so. Klaus wurde also wahrscheinlich einfach am Tor abgesetzt und verlassen. Schon sehr bald wussten wir: Das Beste, was passieren konnte.

Zum Glück funktionierte unsere Strategie, ihm stunden- und tagelang gut zuzureden und ihm sofort draußen Futter- und Schlafplätze einzurichten. Wildkameraüberwacht. Es funktionierte. Es hatte Hunger. Und war fast stündlich auf der Kamera. Wo er sein Lager aufgeschlagen hatte wussten wir erst nicht. Und dann kam der kleine Kerl morgens gähnend aus dem Schafstall. Zusammen mit seinen ersten Vertrauten: den Schafen. Eine Woche später, nach reichlich vorsichtigem Rumgerutsche auf dem Bauch in seiner Nähe konnten wir ihn anfassen.

Wahrscheinlich hat er schon da bei den Schafen seine Strategie entwickelt: wie er es schafft, im Lauf der Zeit zum „Chef vom Ganzen“ zu werden. Zu demjenigen, der Herdenschutzhunde als beste Freunde hat, der mit den Füßen in der Sahnetorte der Besucher*innen stehen darf und alle finden es wundervoll, zu demjenigen, der es entgegen aller Erwartungen schaffte, sich nicht nur in sämtliche Herzen, sondern auch ins Bett der menschlichen Chef*innenetage zu schleichen.

Klaus studierte. Alle und Alles. Beobachtete alle, egal ob Schaf, Hund, Kaninchen, Pute, Schildkröte oder Mensch, so lange, bis er alles wusste. Wann sich wer wie verhält, wann der Zeitpunkt da ist, zu vertrauen und Freundschaften zu schließen. Dabei nahm er auch Erziehungsmaßnahmen von Zwergkaninchen an, die ihn nach Strich und Faden vermöbelten und ihm Kaninchen-Grenzen zeigten. Er respektierte das. Und schloss im Lauf der Jahre viele Freundschaften mit Kaninchen. Vor allem bei Familie Ostermann tat er so, als sei er einer von ihnen. Phasenweise verlegte er sogar seinen Wohnsitz dorthin. Und lag einfach zusammen mit den Kaninchen in der Bude oder im Garten.

Sein größtes Studienprojekt waren nicht die Bäume. Die besiegte er irgendwann. Es war Zeus. 70 Kilo personifizierter Katzenhass. Alles, was Klaus bis dahin von Krätze, seiner uralten gebrechlichen kleinen Hundefreundin gelernt hatte, war auf den neuen Hund nicht anwendbar. Zeus wollte ihn töten. Ihn ohne Aufsicht draußen zu lassen, das ging nicht. Wir arbeiteten an dem Problem. Und Klaus studierte, während wir auf Zeus aufpassten. Bzw. auf Klausis Leben. Wochenlang. Dann geschah es, bei den Schafen. Klaus kam einfach über die Mauer auf Zeus zu. Der merklich die Luft anhielt. Wir noch mehr. Obwohl wir eigentlich wussten, dass wir den beiden jetzt vertrauen können. Klaus lief einfach auf den Riesenschädel von Zeus zu, senkte den Kopf und puderte sich einmal rundum in Zeuses Gesicht. Ab diesem Moment waren die beiden beste, unzertrennliche Freunde. Und Hundespaziergänge ohne Katerbegleitung nicht mehr normal.

Diese Taktik „wenn es so weit ist pudere ich dein Gesicht“ behielt Klaus bei. Nicht nur bei den nachfolgenden Hunden. Bei allen Tieren. Bei den Schweinen war er dann so weise, nicht so weit zu gehen. Studium sei Dank. Mit wem er das alles nicht nur im Land, sondern auch jenseits des Tores gemacht hat, haben wir uns oft gefragt. Manchmal kam er morgens bei Sonnenaufgang zusammen mit einem Reh oder Fuchs oder gefolgt von einem Hasen aus dem Feld. Ganz vertraut. Wir wetten, er hat es getan. Das mit dem Pudern. Und den Freundschaften.

Vielleicht waren auch diese oftmals der Grund dafür, dass Klaus regelmäßig verschwand. Einen Tag, zwei Tage, drei. Oder mehr. Spätestens ab Tag zwei waren wir voller Sorge. So viel kann einem Kater draußen passieren. Jedes Mal durchsuchten wir das ganze Land. Jeden Bunker, jede Ruine. Immer erfolglos. Irgendwann entstand die beruhigende Theorie, dass es noch uns unbekannte Bunker irgendwo in unseren Waldstücken geben muss. In denen der Herr Klaus nächtelang mit einer coolen Waschbärgang herumzockte. Um dann übermüdet und hungrig einfach irgendwann wieder im Menschenhaus aufzuschlagen und schnurrend ins Bett zu plumpsen. Wir jedes Mal überglücklich, ihn unversehrt wieder zu sehen.

Manchmal schlief er dann tagelang. Oder folgte Gewohnheiten. Immer pünktlich bei Sonnenaufgang nach Hause kommen und wie ein Waschbär am Fliegengitter des Küchenfensters hängen. Das ersparte ihm die Benutzung einer der Katzenklappen. Meist ging Klaus jedoch morgens ganz selbstverständlich nach einer Nacht im Bett mit zur Arbeit bei den Kleintieren. Kaninchen besuchen. Überall beim Rechten schauen. Danach mit den Hunden spazieren. Den Gästen auf dem Tisch herumtanzen und eine Sonntagsführung begleiten. Und dann abends noch mit auf eine Party. An manchen Tagen war es so, dass Klaus überall war. Gleichzeitig. Als ob es ihn mehrfach geben würde. Klaus, Klausi, Klausmann…

Heute wissen wir, dass es immer nur einer war. Zehn Jahre Angst, dass ihm etwas zustößt. Er mal den Falschen anpudert. In einem der Teiche ertrinkt. Er auf dem Feld erschossen wird. Sich verläuft und nie wiederkommt. Es gab unzählige Möglichkeiten, was alles hätte passieren können. Oft haben wir uns gefragt, wie viele Leben so ein Kater haben kann. Als wir ihn mit hohem Fieber wegen einer Fußverletzung fanden, er in den gefrorenen Ententeich eingebrochen war, er mit einem Riss im Bauch nach Hause kam, sich verlief und wir ihn nach einer Woche kilometerweit weg abholen konnten – usw.. Ein abenteuerlustiger Langzeitstudent ist eben unaufhaltbar.

Jetzt kam alles anders. Und wir waren machtloser als je zuvor. Was mit einer ausgekotzten Ratte anfing, mit einer schlimmen Magen-Darm-Infektion und unzähligen Tierarztbesuchen weiterging, endete mit einem Herzstillstand während einer annähernd chancenlosen Notoperation in der Tierklinik.

Niemand ist für immer. Aber jemand wie er bleibt für immer – in unseren Gedanken.
Adieu, Kater Klaus.

Schwein Pauline im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

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Hündin Nica im Land der Tiere, einem Lebenshof für ehemalige "Nutztiere" in Mecklenburg-Vorpommern, idyllisch gelegen im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe zwischen Hamburg und Berlin

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