Eigentlich sollte das Land der Tiere für sie nur eine Zwischenstation sein. Als uns im Juli 2023 die Anfrage erreichte, ob wir eine Gruppe älterer Hühner aufnehmen können, weil ihr 92-jähriger Halter nicht mehr in der Lage war, sich zu kümmern, hatten wir zeitgleich ein Hühneraufnahmeangebot von privat. Doch bei der Ankunft der acht Hühner war schnell klar, dass sie im Land der Tiere bleiben würden.
Ihr Zustand war katastrophal: Die Füße zerfressen von Grabmilben, einigen fehlten Krallen und Zehen und die Metallringe zum Teil eingewachsen. Sie müssen lange Zeit gelitten haben, weil der alte Herr, bei dem sie lebten, nicht sah, dass sie krank sind und leiden. Sofort war erste Hilfe notwendig, gleich nach ihrem Einzug mussten die Kalkbeins die erste intensive Behandlung mitmachen. Die Hühner stellten sich als äußerst geduldige und tapfere Patientinnen heraus.
Die lange Vernachlässigung hatte bleibende Schäden hinterlassen. Zudem waren sie alt, bereits älter als „Hochleistungslegehennen“ wie sie normalerweise werden. Uns war bewusst, dass die Kalkbeins keine lange Zeit haben würden.
Bald wuselten sie mit den anderen Hühnern durch ihr neues Gehege. Von ihren kaputten Füßen ließen sich die Kalkbeins nicht allzu sehr aufhalten. Liefen, so gut sie eben konnten. Ihre täglichen Verarztungsrunden ertrugen sie mit bewundernswerter Gelassenheit. Die Kalkbeins gingen alles etwas gemütlicher an als die anderen, brauchten deutlich mehr Verschnaufpausen, waren aber auch immer mal wieder bereit für ein paar kleine, entspannte Abenteuer. Am liebsten waren sie dabei zusammen. Eben eine enge Gemeinschaft vertrauter Hühnerfreundinnen.
Doch die jahrelange Vernachlässigung und ihr Alter holten sie ein. Nach und nach mussten sie sich von ihren Freundinnen verabschieden. Die letzten drei Überlebenden nahmen den Frühlingsbeginn noch mit. Erlebten, wie alles wieder grün wurde in ihrem Gehege. Und dann ging es erst „Hahnni“ schlechter. „Hahnni“, die ein bisschen aussah wie ein Hahn, mit dem präsenten Blick, stets neugierig und sehr aufmerksam, baute ab. Sie starb einfach nachts friedlich im Beisein ihrer verbliebenen Freundinnen. Auch „Gloria“ Kalkbeins Zustand verschlechterte sich. Ist sie vorher noch immer sehr aktiv gewesen und überall mit herumgerannt, ihren Füßen zum Trotz, war sie nun zunehmend abwesend. Gloria hatte noch ein paar gute, wache Momente, wo sie nochmal draußen unterwegs war. In der Nacht vor dem bevorstehenden Tierärztin-Termin ist sie ist von alleine eingeschlafen. Die letzte überlebende Frau Kalkbein, einige von uns nannten sie „Barbara“, hatte über mehrere Tage hinweg stark abgebaut. Barbara war gesellig, interessiert an allem und allen, döste am liebsten unter ihrem Lieblingsstrauch mit ihren Freundinnen. Leider konnten wir auch für sie nichts mehr tun. Sie wurde friedlich in der Praxis eingeschläfert.
Die Folgeschäden, die das Nichtkümmern ihres ehemaligen Halters nach sich zog, konnten wir nicht mehr ausgleichen, gegen ihre Genetik, die Hennen Jahre eines Lebens kostet, waren wir sowieso machtlos.
Die Kalkbeins haben im Land der Tiere nach dem Motto „immer alle zusammen“ gelebt. Alles wurde gemeinsam gemacht, niemand sollte allein sein. Ein bisschen so sind sie auch gestorben, kurz hintereinander, möglichst beisammen.
Adieu, ihr Kalkbeins.