Dankbar für drei Jahre und neun Monate Leben.
Zacke Wiesengrün kam vor drei Jahren und neun Monaten zu uns, grade ein paar Tage alt. Einer, der das zufällige große Glück hatte, bei einer Tierbefreiung in einer Mastanlage mit 41.000 anderen Küken genau in der Nähe der Transportbox zu sein, die ihm und fünft anderen Küken, die eigentlich „als Masthühner produziert“ worden waren, das Leben rettete. Die Geretteten bekamen den Familiennamen „Wiesengrün“.
Zacke wurde zum echten Dinsosaurier, zum ältesten aller als „Masthähnchen“ geschlüpften Hähne. Während seiner Lebenszeit wurden alleine in Deutschland etwa 2,5 Milliarden Vögel wie er geschlachtet. Wir sind uns ziemlich sicher, dass er dazu beigetragen hat, dass Menschen das überhaupt wahrnehmen, was in den Mastanlagen geschieht. Wahrnehmen, dass „Masthähnchen“ pfiffige, lebenslustige Typen sind, die genau so enge Beziehungen zu Menschen haben können wie Hunde oder zahme Papageien.
Als er und die anderen Wiesengrüns ins Land der Tiere einzogen, waren sie winzige, piepsende, flauschige Vögelchen. Küken, die eigentlich unter den Flügel ihrer Mutter gehört hätten. Ihre Mütter haben sie jedoch nie kennengelernt, weil sie im Brutschrank einer Brüterei schlüpften. Als Masthühner wären sie nach 29-42 Tagen Existenz geschlachtet worden – also noch als Babys.
Wir wurde ihre Ersatzmamas. Ließen uns beklettern und die Haare frisieren, waren bei ihren ersten Sand- und Sonnenbädern als Aufsichtspersonen dabei, gingen mit ihnen spazieren, freuten uns über jeden gewonnenen Tag, über jede Freundschaft, die sie mit anderen Tieren schlossen, mit Puten, Kaninchen und Kater Klaus.
Wir waren dabei, als die Jungs das allererste Mal krähten. Also übten, das zu tun. Tatsächlich wussten wir bis dahin nicht, wie sich das anhört, wenn junge Hähne das Krähen lernen. Alle haben es geschafft, es zu perfektionieren. Und längst vor Sonnenaufgang zu sagen, dass sie da sind.
Zackes Krähen überdauerte den Tod der anderen Wiesengrüns. Er wurde der letzte Überlebende, der älteste Aller. Zacke, der Dinosaurier, der allen genetischen Problemen, die er als „Turbomasthahn“ hatte, trotzte, mit schwerem Körper und dadurch bedingter Skelettfehlstellung herumlief, Breitseite zu Leuten, die er beeindrucken wollte damit. Das hat er zweifellos immer geschafft: zu beeindrucken. Auch wenn er phasenweise sichtbar Herz-Kreislauf-Probleme hatte. „Masthähne“ wie er sind nicht gezüchtet, um ein möglichst langes, gutes Leben zu haben.
Masthühner wie Zacke und die anderen Wiesengrüns wurden gezüchtet, um in minimaler Zeit maximales „Schlachtgewicht“ zu erreichen: Nach spätestens 42 Tagen Mast wiegen dann sie bereits bis zu zweieinhalb Kilo, falls sie die Mast und ihr immenses Wachstum überhaupt überlebt haben. Auch die Wiesengrüns wuchsen immens. Und es war von Anfang an klar, dass sie sicherlich in ihrem Leben Probleme bekommen würden wegen ihrer auf Turbowachstum gezüchteten Körper. Am Ende waren ihre Körper ihrer aller Todesursachen. Aber im Gegensatz zu den anderen Masthühnern, die nicht das Glück einer Befreiung hatten, erlebten sie, was diese nie erlebten: ein echtes, glückliches und „langes“ Leben.
Adie, Zacke Wiesengrün.