Abschied von zwei Damen der Familie Kalkbein

Als die alte, extrem vernachlässigte Hühnergruppe, die den Namen „Die Kalkbeins“ bekam, im Sommer 2023 im Land der Tiere abgegeben wurde, wussten wir, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleiben würde. Der furchtbare Grabmilbenbefall hatte ihnen unwiedergutmachbar zugesetzt. Seit ihrem Einzug verging kein Tag, wo nicht mindestens eine der Hennen einen neuen Fußverband oder andere „Spezialbetreuung“ benötigte. Und abgesehen von diesen Problemen: Die Kalkbeins wurden ja noch dazu als „Legehennen“ gezüchtet, brachten also auch noch die mit der hohen Eierproduktion verbundenen Probleme mit. Eigentlich war es verwunderlich, dass sie überhaupt noch lebten.

Legedarmprobleme, geschädigte Luftsäcke, Abmagerung, Füße, denen die Zehen fehlen, Tumore. Tumore waren es auch, die vor einigen Tagen das Leben unserer Lieblingspatientin, „Streuselchen“ Kalkbein, beendeten. Streuselchen mit ihren Streuselfüßen ohne Zehen, infolgedessen auch noch mit Druckgeschwüren am Fußballen, war eine unfassbar geduldige Patientin, die bei den Verbandswechseln ruhig auf dem Behandlungstisch stehen blieb, sich danach wieder nach Hause tragen ließ, ein bisschen herumwanderte, ein kleines Sonnen- und Sandbad nahm. Als sie Anfang März 2024 „komisch dastand“, lag es nicht an ihren Streuselfüßchen. Beim Abtasten des Bauchraumes fanden wir Tumore und konnten nichts mehr für sie tun, also sie einschläfern zu lassen.

Mit Streuselchen eng zusammen war immer vor allem die Frau Kalkbein, deren Atemgeräusche nie gut waren: ein Luftsackproblem. Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, draußen herumzuspazieren, die Sonne zu genießen, Hühnersachen zu machen, war ansonsten „gesundheitlich unauffällig“. Dass sie nun nur ein paar Tage nach Streuselchens Beerdigung ohne Vorankündigung stirbt, damit hätten wir nicht gerechnet. Wir fanden sie nachmittags im Hühnerzimmer, es sah aus, als sei sie innerhalb von Sekunden beim Herumlaufen von a nach b auch für sie unvorbereitet gestorben.

Abschied von Wiesel

Meerschweinchen sind äußerst gesellig und haben sich viel zu erzählen. Und wo zwei sind, können auch vier leben, dachten wir, als wir zufällig in den Ebay-Kleinanzeigen über zwei Meerschweinchen fielen.

Zwei, die in ihrem Leben bis dahin nichts hatten als den Käfig um sie herum – und deren Zukunftsaussichten beim Verkauf für 7,50 Euro wahrscheinlich nicht besser waren. Der Gedanke, dass sie den Rest ihres Lebens in irgendeinem Ställchen oder Käfig sitzen würden, ohne Chance auf ein friedliches, gutes Meerschweinchenleben, ließ uns nicht los. Wir boten eine kostenfreie Aufnahme der Meerschweinchen an und machten damit nicht nur diese Beiden glücklich. „Da ist ja auch noch dieses alte Meerschweinchen, das immer einzeln im Käfig ist, weil es unverträglich ist. Kann das auch mit?“

Natürlich kam auch das alte Meerschweinchen mit. Wiesels Oma oder Uroma, wusste niemand mehr so genau. Keineswegs unverträglich, wie sich sofort herausstellte. Sie hatte also jahrelang umsonst alleine in ihrem kleinen Käfig gehockt. Die ersten Tage schrie sie panisch, sobald ein Mensch das Zimmer betrat. Solche extremen Warnrufe hatten wir tatsächlich noch nie von einem Meerschweinchen gehört.

Auch Wiesel war anfangs „viel Angst“. Und ihren Namen hatte sie nicht grundlos bekommen: wieselflink, immer auf der Hut. Ihre anfängliche große Angst vor Menschen legte sie zwar nach einer Zeit ab, aber Wiesel blieb sich treu. Und blieb ein Meerschweinchen, dass menschliche Anwesenheit im Meerschweinchenzimmer lediglich wegen der guten Bedienung akzeptierte. Mit den anderen Meerschweinchen war Wiesel war immer eine „Spaßkanone“, absolut verträglich und pfiffig und sogar begeistert davon, mit den ganz jungen Meerschweinchen zusammen herumzuflitzen und Quatsch zu machen.

An ihrem letzten fröhlichen Tag war Wiesel wie immer, glücklich inmitten der anderen, gesundheitlich absolut unauffällig. Dass sie einfach plötzlich und ohne jede Vorankündigung sterben würde, daran hätten wir an diesem Tag nicht gedacht.

Adieu, Wiesel.

Abschied von Bürste

Sie war nicht „einfach nur ein Meerschweinchen“, sondern eine unglaublich liebenswerte, schrullige, kleine Person: Bürste.

Es sind oft die Alten, Kranken, „Besonderen“, mit denen wir am tiefsten verbunden sind. Die Tiere, die ihre kleinen und großen Baustellen schon beim Einzug mitbringen – und die Aussicht, dass ihre verbleibende Lebenszeit nicht mehr lang sein wird.

Bürste kam im Februar 2023 zusammen mit ihrem Freund Ecki als Abgabeschweinchen ins Land der Tiere. Als altes Meerschweinchen, nichts Genaues wusste niemand, weil sie schon durch mehrere Hände gegangen war. Sie hätte sich bestimmt eine nette Begrüßung gewünscht als eine mit Milbenbehandlung, Fußpflege, Augen-, Lippengrind- und Ohrenentzündungsbehandlung. Aber was sein muss, muss sein, Bürste ertrug es. Als sie nach der ersten „Sanierung“ zu den anderen Meerschweinchen ins große Meerschweinchenzimmer umziehen konnte, um einfach in Ruhe ihr Leben zu genießen, war sie zufrieden. Auch zufrieden damit, sich die Erziehung ihres Mitbewohners Ecki, den sie nicht sonderlich schätzte, mit den anderen Meerschweinchen teilen zu können.

Bürste war nicht nur körperlich wegen wechselnder Probleme „eine Dauerbaustelle“. Sie war alt. Und hat bewiesen: Senilität im Alter ist nicht für Menschen reserviert. Manche verlaufen sich, andere brauchen ihr Essen ans Bett oder eine Erinnerung, zu essen. Bürste war auch so eine, die unseren speziellen Roomservice in Anspruch nehmen musste. Denn wenn das Essen nur bis vor die Haustüre geliefert wurde und nicht direkt ins Bett, konnte es sein, dass sie vergaß, es abzuholen. Oder verschlief einfach: Ihr Seh- und Hörvermögen war auch nicht mehr gut.

Mobil und gut gelaunt und mittendrin im sozialen Gefüge der Meerschweinchengruppe war die kleine Bürste immer. Bis zu ihrem letzten Tag ein Jahr nach ihrer Ankunft im Land der Tiere, an dem ihr kleiner, alter Körper mit den vielen „Baustellen“ kapitulierte.

Adieu, Bürste.

Mobil und gut gelaunt und mittendrin im sozialen Gefüge der Meerschweinchengruppe war die kleine Bürste immer. Bis zu ihrem letzten Tag ein Jahr nach ihrer Ankunft im Land der Tiere, an dem ihr kleiner, alter Körper mit den vielen „Baustellen“ kapitulierte.

Adieu, Bürste.

Abschied von Fräulein Schmittlauch

Fräulein Schmittlauch kam vor fast vier Jahren aus einer Räumung bei einer „Tiersammlerin“ zu uns. Es war ein furchtbarer Animal Hoarding-Fall in Niedersachsen. Neben über 70 Hunden in schlimmsten Zuständen lebten in der angeblichen Tierpension, die sich auch „Hundegnadenhof“ nannte, auch viele Vögel, Gänse, Enten, Hühner – und zwei Puten. Als der Hof komplett geräumt wurde, halfen wir wie viele andere auch durch die Aufnahme von Tieren: ins Land der Tiere zogen die beiden Puten.

Als wir Fräulein Schmittlauch und ihre Freundin Mrs. Bean abholten, konnte man nicht einmal sicher sein, welche Farbe die beiden haben. Beige? Grau? Mit schwarzen Köpfen und dunklen Flecken? Sie waren komplett verdreckt, ihr Gefieder in genauso desolatem Zustand wie ihre Psyche. Sie waren voller Angst.

Es dauerte eine Zeit, aber es passierte: es stellte sich nicht nur heraus, dass es weiße „Mast“-Puten sind, sondern auch, dass sie sind, wie Puten eben sind: absolut neugierig, frech und klug, sehr interessiert an menschlicher Nähe, anhänglich und verschmust, jede mit ganz eigenem Charakter, mal gut gelaunt, mal nicht – und dann „von Null auf 180“ in ein paar Sekunden. Das tat dann Menschen, die nicht schnell genug ein Einsehen hatten und sich gepflegt zurückzogen, auch schon mal tüchtig weh.

Tüchtig weh tat auch irgendwann der Streit, den die Mädels miteinander anfingen. Warum es passierte, fanden wir nie heraus. Trotz aller Geduld und aller bewachten Versuche, die beiden wieder miteinander zu versöhnen: sie wollten nicht mehr zusammenleben, hatten sich nachhaltig verkracht. Während Mrs. Bean in der gemischten Hühner-Puten-Gruppe mit Lotta und den anderen ihr Glück fand und bis zu ihrem Tod im Frühjahr 2023 behielt, zog „Schmitti“ zu Puter Gustav und „seinen Leuten“.

Gustav musste von da an damit leben, dass nicht nur er, sondern auch Fräulein Schmittlauch beim Anblick von Menschen, die nicht in der Nähe sein sollten, manchmal schier explodierte: ganz nach Truthahnmanier mit viel Aufblasen, vielen „Pfffts“ und Gejodel. Das können tatsächlich nur sehr wenige weibliche Puten. Schmittlauch konnte es. Wenn die ganze Show nicht reichte, verfolgte sie die Leute mit zornigstem Geschnatter und Bissen in die Beine, bis zu deren Kapitulation.

Bei den Menschen, die in ihrer Nähe sein durften und sollten, gab es eine ganz andere Fräulein Schmittlauch. Die Sanfte, die sich hinlegte, die Augen schloss, gestreichelt werden wollte. Glücklich gluckste bei Kuscheleinheiten. Während sie gluckste dachten wir oft an den Tag, der irgendwann kommen würde. Fräulein Schmittlauchs Körpergewicht war eine Katastrophe, trotz strenger Diät. Knochenprobleme bei den überschwer gezüchteten „Mastputen“, die früher oder später fast immer auftreten, sind „normal“.

Bei ihr fingen die Probleme erstaunlich spät an. Vor einigen Monaten dachten wir schon, „jetzt ist es vorbei“, als sie anfing, beschwerlich zu laufen. Doch nach drei Wochen entzündungshemmenden Schmerzmitteln war „alles wieder gut“ – und Schmittlauch wieder in der Lage, die anderen beim Weg zum Frühstück nach draußen zu überholen oder wahlweise über den Haufen zu rennen. Menschen aus ihrem Garten zu jagen, die sie dort nicht haben wollte. Vor einigen Tagen dann fing sie an zu humpeln und auch mit Medikamenten besserte sich nichts.

Und dann lag sie. Konnte nicht mehr stehen. Ihre Hüfte ließ es nicht mehr zu, zu sein, wer sie immer war: die taffe Fräulein Schmittlauch. Gestern wurde ihr und uns klar, dass es nie wieder werden würde, wie es war. Alles, was noch zu erwarten war, wären Schmerzen und Frustration gewesen.

Schmitti starb nach dem größten Frühstück ihres Lebens friedlich in der Tierarztpraxis.

Adieu, Fräulein Schmittlauch.

Abschied von Trudi

Wir konnten uns nie vorstellen, ohne Trudi zu sein.

Wie wählt man aus, welche Tiere aus einer Herde mit „Zucht- und Schlachtschafen“ den Ort, an dem ihnen jahrelang ihre Kinder weggenommen und getötet wurden, verlassen können und ins Land der Tiere einziehen werden? Bei Trudi war es keine Frage. Es war ein Foto, das entschied. Ein Foto mit einem ungepflegten, älteren Wildschaf mit katastrophalen Klauen reichte um zu sagen „die alte Mufflondame mit den schlimmen Füßen, die muss auf jeden Fall mit!“.

Trudi, damals mindestens 10 Jahre alt, vielleicht auch älter, stieg zusammen mit ihrer letzten Tochter, der einzigen, die ihr geblieben war, im Saarland in den Transporter. Mit ihnen zwei weitere Mütter und deren letzte Töchter. Als die sechs im Herbst 2015 ankamen war das Land der Tiere „noch ganz neu“, es gab erst drei andere Schafe, ganz tiefenentspannt, zwei davon schon sehr alt und eine sehr liebe „verrückte Nudel“ namens Mupf. Die drei schafften es, den sechs neuen, ängstlichen Schafen Sicherheit zu geben, die große Angst vor uns zu nehmen. Zeigten ihnen das Land, schlossen sich ihnen an.

Trudis Ausstrahlung und Tun führten schnell dazu, dass sie die Chefin der Schafe wurde. Die alte wilde Weisheit. Nicht autoritär, vielleicht hatte sie selbst daran nie gedacht. Die anderen wählten sie, weil Trudi einfach alles richtigmachte. Die besten Wege kannte. Sich traute, was andere nicht wagten, immer den Überblick über alles und alle hatte – und einfach immer die richtigen Entscheidungen traf, egal ob es um die besten Plätze für die Nahrungssuche ging oder die beste Aufsicht über die Herde. Während andere noch dastanden und grasten ahnte Trudi längst, wenn irgendwo Gefahr drohen konnte. Sie roch sie. Stand da mit der Nase ganz hoch in der Luft und checkte die Gegend. Ein Ruf von Trudi reichte, um die Schafe hinter sich zu versammeln, damit sie alle in Sicherheit bringen konnte. Sie folgten Trudi immer. Alle Schafe, die ins Land der Tiere einzogen.

Trudis Vorsicht war so ausgeprägt, dass sie es zwar schnell okay fand, sich von uns Kekse abzuholen – mit zwei Metern Sicherheitsabstand – aber sie vertraute keinem Menschen wirklich, obwohl sie uns von Anfang an „nahe war“. Sie respektierte uns vielleicht annähernd wie wir sie, ein Ruf reichte, damit sie mitsamt allen anderen Schafen angerannt kam, um mit uns spazieren zu gehen. Sie wagte sich sogar zwischen die Hunde, mit denen sie keine Berührungsängste hatte. Wagte jedoch nicht, sich aus einer Menschenhand direkt einen Keks zu schnappen, egal wie scharf sie auf grade diesen Keks war.

Zwei Jahre hat sie uns in diesem Zustand gelassen, dass wir nicht wussten, wie sich ihre Nase anfühlt. Irgendwann fing es dann an. Trudi traute sich mit extralangem Giraffenhals, Kekse direkt aus der Hand abzuholen und dabei berührten ihre Lippen Menschenfinger. Allein das war schon Grund genug für uns, vor lauter Glück noch viel mehr Kekse verteilen zu wollen. Als sie dann nach einem verspeisten Keks nicht wegging, sondern ganz nah stehenblieb und ihre Nase Finger berührten, die sie dann sogar an den Backen streicheln konnten: das war echtes Glück.

Trudi trieb es dann irgendwann sogar noch auf die Spitze, natürlich vergingen wieder ein paar Jährchen: sich hinzustellen, den Rücken lang zu machen und komplett durchkraulen zu lassen war für uns für sie wahrscheinlich ähnlich schön. So vertraut.

Es hätte absolut nicht zu Trudi gepasst, im Alter als hilflose Person dazustehen. Krank zu sein, vielleicht Arthrose zu haben, altersblind oder taub, nicht mehr Chefin der Schafe sein zu können. Bis zu dem Tag, als wir wegen Trudis gestresster Atmung den Tierarzt riefen, hatte sie getan, was sie immer getan hatte: die anderen Schafe durchs Land geführt und gut behütet. Einen Tag später zog sie sich zurück, wie Wildschafe es tun, kurz bevor sie sterben, um ihre Herde nicht zu gefährden. Einige der Arthrose-Schafe blieben in ihrer Nähe.

Es hätte nicht zu Trudi gepasst, nicht selbstbestimmt zu sterben. Während wir noch Hoffnung hatten, eine akute vorübergehende Erkrankung besiegen zu können, wusste sie wahrscheinlich längst, dass es ihr letzter Tag sein würde. Trudi starb friedlich und ohne unsere Hilfe in der Nacht im Alter von ungefähr 18 oder mehr Jahren.

Adieu, Trudi.

Abschied von Claudius

Was „Putenmast“ bedeutet kann sich kaum jemand vorstellen. Tausende Tiere in einer Halle, auf einer immer dicker werdenden Schicht ihre Exkremente bei zunehmend weniger Platz, bis sich Pute an Pute quetscht. Enormer Stress, Kannibalismus, Verletzungen, Krankheiten, Tote. 21 Kilo wiegen männliche Puten nach 21 Wochen Mast – am Ende ihres Lebens. Zwei kleine Putenjungs haben es im Oktober 2020 geschafft, ihrem Tod in der Mastanlage oder im Schlachthof zu entkommen. Wir nannten sie Claudius und Bibo.

Als die beiden einzogen, waren sie etwa 2 Wochen alt. Piepsende Küken, die den Schutz einer Mutter suchten, die sie nie hatten. Putenbabys schlafen nämlich eigentlich unter einem Flügel ihrer Mutter. So jung waren die beiden – und schon todkrank. Sie litten unter enormem Durchfall durch bakterielle Erkrankungen, Befall von Kokzidien und Darmpilz – ein „Standardproblem“ in der Putenmast. In den Mastanlagen ist es das größte „wirtschaftliche Problem“: dort verursacht es immense Leiden, viele Tote. Claudius und Bibo konnten wir durch sofortige gezielte medikamentöse Behandlungen retten. Für ihren kleinen Kumpel, der mit ihnen zusammen aus der Mastanlage kam, war es zu spät.
Es hat lange gedauert, bis sie „über den Berg“, waren und gut gelaunt ihre ersten Spaziergänge nach draußen machen konnten – in ein echtes Leben. Von Anfang an war klar, es wird kein langes Leben sein aufgrund ihrer schwergezüchteten Körper. Aber es wird ein gutes Leben sein.

Claudius und sein Kumpel lebten lange friedlich zusammen – und mit ihnen „ihre Mädels“ Jasmin und Jolanda, die mit ihnen nicht nur die Vergangenheit teilten, sondern vor allem das Hier und Jetzt. Eins mit Freundschaften und Freiheit, viel Putengejodel, Apfelpartys, Steifzügen durch die Wiesen zusammen mit Familie Ostermann. Claudius und Bibo verkrachten sich irgendwann und wurden ab da zu Nachbarn, die sich hin und wieder über den Gartenzaun anmuffelten.

Claudius überlebte Bibo, der irgendwann, wie es leider „bei Mastputen normal ist“, Bein- und Hüftprobleme bekam und nicht mehr hochkam. Und Claudius blieb der kernige, große, krawallige Typ. Der auch keine Probleme damit hatte, sein menschliches Personal zum Teil je nach Tageslaune oder systematisch aus seinem Garten zu verjagen. Er tat das nicht bei allen Menschen: Ausgesuchte durften da sein. Von denen ließ er sich auch die Federn nach Parasiten durchsuchen, ohne Gegenwehr, sondern voller Vertrauen.

Claudius wurde „Rekordhalter“ in Sachen Lebenserwartung und hat alle uns bekannten großen weißen Puter, die wie er als „Mastputer“ gezüchtet wurden, überlebt. Vor Wochen fing es bei dem mittlerweile drei Jahre alten Claudius an, mit einem „Problemfuß“, der so dick geschwollen war, dass Claudius lag und trotz Schmerzmittel nicht mehr laufen mochte. Wir fanden einen Dorn in seinem Fuß, den wir entfernen konnten, trotzdem besserte sich der Fuß nicht, so das er dann letztendlich in der Tierarztpraxis operiert werden musste, um an Flüssigkeit und Eiter heranzukommen. Dass damit und mit weiterhin Schmerzmittel- und Antibiotikagaben alles gut würde, die Hoffnung war klein. Besser wurde leider nichts.
Claudius hatte trotzdem längst nicht die Hoffnung aufgegeben. „Solang er nicht kapituliert, tun wir es auch nicht.“ Claudius war immer vielen Menschen gegenüber ein ziemlich unwirscher Typ, hat sein Putzpersonal oft genug verfolgt, gebissen und aus seinem Revier geschmissen, ohne Notfallapfel zum Ablenken ging kein Weg durch seinen Garten. Seit er krank war, war er die Geduld in Person, ließ alles mit sich machen, Fuß baden, Medikamente geben, Verband wechseln, alles, ohne übellaunig zu werden. Wir wünschten sehr, dass er wieder der alte Claudius würde, der, der Menschen verfolgt und rausschmeißt, wenn ihm danach ist – und tatsächlich verbrachte Claudius seine allerletzten Lebenswochen mit dem, was er immer getan hatte: mit seinen Mädels draußen Spazierengehen. Irgendwie lief er plötzlich wieder, mitsamt seinem dicken Fuß. Von ihm gebissen zu werden war plötzlich Grund, uns darüber zu freuen.

Vor allem weil wir wussten, das Fußproblem wird Folgen haben, körperliche – tödliche. Das längere Liegen und Fehlbelastung brachte ihm eine Schwellung des anderen, „guten“ Beins. Es war eine Frage der Zeit, wann die Hüfte anfangen würde, Probleme zu machen. Er nicht mehr aufstehen können würde und wir nichts mehr für ihn tun können würden. Er und wir uns von dem Wunsch verabschieden müssten, dass er jemals nochmal mit seinen Mädels spazieren gehen können würde.

Kaum ein Tier ist so gut in der Lage zu kommunizieren, wenn seine letzte Hoffnung gestorben ist, wie Puten es können. Und wir an diesem Tag akzeptieren müssen, nichts mehr für jemanden tun zu können, als ihn einschläfern zu lassen.

Adieu, Claudius.

Abschied von Pongo

Zwei Jahre und drei Monate sein, wer man ist: ein freiheitsliebender, absolut geduldiger und liebevoller Familienvater, der er wie kaum ein anderer verstanden hat, sich nicht von seinen Söhnen und Töchtern aus der Ruhe bringen zu lassen.

Früher war Riesenschecke Pongo „Zuchtbock“, lebte eingesperrt unter katastrophalen Umständen in einer Bucht eines Kaninchenzüchters. In den Ställen nebenan die „Zuchthäsinnen“, zu denen er von Zeit zu Zeit zum Decken dazugesetzt wurde, und seine Kinder, die er nie kennenlernte. Sein Nachwuchs lebte immer nur ein kurzes Leben als „Mastkaninchen“. Wahrscheinlich musste Pongo in dem Taubenschlag, wo die Kaninchenboxen standen, auch noch mit anschauen, wie seine Kinder geschlachtet wurden.

Pongos Leben änderte sich, als der Kaninchenzüchter ins Krankenhaus kam. Als dann feststand, dass er nie wieder Kaninchen züchten würde, suchten die Menschen, die sich zwischenzeitlich um die Kaninchen gekümmert hatten, einen Ort zum Leben für die Tiere. Wir wollten niemanden zurücklassen – und die Kaninchen sollten endlich das haben können, was sie nie hatten: eine Familie sein dürfen.

Die komplette ehemalige Kaninchenzucht zog ins Land der Tiere ein, Pongo, seine Söhne und eine Tochter, die noch winzigen Kinder eines Sohnes, die Oma und natürlich Helga, die Mutter aller Kinder. Eine wundervolle Familie, „Die Pongos“. „Papa Pongo“ genoss es, mit allen zusammen draußen zu sein, herumzuhoppeln, zu grasen, im Schatten herumzuliegen und zu dösen, die Hänge hoch und runter zu hoppeln und „Kaninchensachen“ zu machen. Auch noch als sein Rücken begann, Probleme zu machen.

Ein typisches Problem von Riesenkaninchen, die ja besonders groß und „fleischreich“ gezüchtet werden, erwischte ihn: der Rücken zu lang, der Körper zu schwer, aufkommende Probleme mit der Wirbelsäule. Und dann noch Pododermatitis als Folge der Fehlbelastung der Hinterfüße. Pongo lernte, geduldig zu sein bei „Schuhwechseln“, denn die Druckstelle an einem Fuß machte Behandlung und das Tragen eines weichen Polsters notwendig. Mit seiner Gelschuhsohle wurde der Fuß geschont – und Pongo konnte hoppeln. Dass seine Rückenprobleme mit fortschreitendem Alter schlimmer werden würden, war zu befürchten. Sie wurden schlimmer. Doch Pongo gab nicht auf. Schaffte auch an schlechteren Tagen unterstützt durch Schmerzmittelgaben seine Wege nach draußen auf die Wiese, wo er dann mit der Familie lag und zufrieden mümmelte. Es war klar, irgendwann kommt der Tag, an dem er nicht mehr laufen können würde, an dem die Schmerzmittel nicht mehr ausreichen würden. Dass es am Ende so schnell ging, hatten wir nicht vermutet. Vielleicht haben wir versucht, einfach nicht daran zu denken.

Adieu, Pongo

Abschied von drei Damen der Familie Kalkbein

Als „Die Kalkbeins“ im Sommer 2023 ins Land der Tiere kamen, waren wir erschüttert über ihren Zustand. Verwundert, dass sie überhaupt ein für „Legehennen“ hohes Alter von sieben oder mehr Jahren erreicht hatten. Der alte Mann, dem sie gehörten, mochte seine Hühner wahrscheinlich. Doch irgendwann war er nicht mal mehr in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern – und vielleicht hat er gar nicht bemerkt, wie schlecht es seinen Hühnern ging. Leider hat auch sonst niemand hingeschaut.

Die Kalkbeins waren Haut und Knochen, litten unter massivem Parasitenbefall, Grabmilben hatten Berge von Kalk an ihren Beinen angehäuft, darunter kamen nach dem Freibaden tief zerfressene Füße zum Vorschein. Blutige Zehen, zum Teil schon abgefallen oder gerade dabei, abzufallen. Wir bekämpften die Milben und anderen Parasiten, salbten, verbanden, amputierten Zehen, die vergammelt an winzigen Fädchen hingen, operierten eingewachsene Metallringe aus ihren Beinen. Bei einigen hatten die Milben auch die Luftsäcke erwischt, irreparabel.

Alle wurden absolut geduldige Patientinnen, ertrugen Behandlungen und Bäder, Fußverbände und mehr. Für alle ging es nur noch um eins: eine wahrscheinlich kleine, gute Zeit. Das wussten sie wahrscheinlich genau wie wir.

Jetzt leben von den acht Kalkbeins noch fünf. Im November 2023 verschlechterte sich der Zustand von dreien der alten Hennen rapide. Innerhalb von wenigen Tagen mussten wir Tumoren beim rasanten Wachsen zusehen, sehen, wie sie selbst sich auf ihren Abschied vorbereiteten, inaktiver wurden, sich zurückzogen, wie Hühner es am Ende ihres Lebens machen. Mehr als einen letzten Gefallen, ihnen einen friedlichen Abschied ohne klägliches Leiden bis zum Tod zu verschaffen und sie einschläfern zu lassen, konnten wir nicht mehr für sie tun.

Adieu, ihr drei Kalkbeins.

Zacke Wiesengrün

Dankbar für drei Jahre und neun Monate Leben.

Zacke Wiesengrün kam vor drei Jahren und neun Monaten zu uns, grade ein paar Tage alt. Einer, der das zufällige große Glück hatte, bei einer Tierbefreiung in einer Mastanlage mit 41.000 anderen Küken genau in der Nähe der Transportbox zu sein, die ihm und fünft anderen Küken, die eigentlich „als Masthühner produziert“ worden waren, das Leben rettete. Die Geretteten bekamen den Familiennamen „Wiesengrün“.

Zacke wurde zum echten Dinsosaurier, zum ältesten aller als „Masthähnchen“ geschlüpften Hähne. Während seiner Lebenszeit wurden alleine in Deutschland etwa 2,5 Milliarden Vögel wie er geschlachtet. Wir sind uns ziemlich sicher, dass er dazu beigetragen hat, dass Menschen das überhaupt wahrnehmen, was in den Mastanlagen geschieht. Wahrnehmen, dass „Masthähnchen“ pfiffige, lebenslustige Typen sind, die genau so enge Beziehungen zu Menschen haben können wie Hunde oder zahme Papageien.

Als er und die anderen Wiesengrüns ins Land der Tiere einzogen, waren sie winzige, piepsende, flauschige Vögelchen. Küken, die eigentlich unter den Flügel ihrer Mutter gehört hätten. Ihre Mütter haben sie jedoch nie kennengelernt, weil sie im Brutschrank einer Brüterei schlüpften. Als Masthühner wären sie nach 29-42 Tagen Existenz geschlachtet worden – also noch als Babys.

Wir wurden ihre Ersatzmamas. Ließen uns beklettern und die Haare frisieren, waren bei ihren ersten Sand- und Sonnenbädern als Aufsichtspersonen dabei, gingen mit ihnen spazieren, freuten uns über jeden gewonnenen Tag, über jede Freundschaft, die sie mit anderen Tieren schlossen, mit Puten, Kaninchen und Kater Klaus.

Wir waren dabei, als die Jungs das allererste Mal krähten. Also übten, das zu tun. Tatsächlich wussten wir bis dahin nicht, wie sich das anhört, wenn junge Hähne das Krähen lernen. Alle haben es geschafft, es zu perfektionieren. Und längst vor Sonnenaufgang zu sagen, dass sie da sind.

Zackes Krähen überdauerte den Tod der anderen Wiesengrüns. Er wurde der letzte Überlebende, der älteste Aller. Zacke, der Dinosaurier, der allen genetischen Problemen, die er als „Turbomasthahn“ hatte, trotzte, mit schwerem Körper und dadurch bedingter Skelettfehlstellung herumlief, Breitseite zu Leuten, die er beeindrucken wollte damit. Das hat er zweifellos immer geschafft: zu beeindrucken. Auch wenn er phasenweise sichtbar Herz-Kreislauf-Probleme hatte. „Masthähne“ wie er sind nicht gezüchtet, um ein möglichst langes, gutes Leben zu haben.

Masthühner wie Zacke und die anderen Wiesengrüns wurden gezüchtet, um in minimaler Zeit maximales „Schlachtgewicht“ zu erreichen: Nach spätestens 42 Tagen Mast wiegen dann sie bereits bis zu zweieinhalb Kilo, falls sie die Mast und ihr immenses Wachstum überhaupt überlebt haben. Auch die Wiesengrüns wuchsen immens. Und es war von Anfang an klar, dass sie sicherlich in ihrem Leben Probleme bekommen würden wegen ihrer auf Turbowachstum gezüchteten Körper. Am Ende waren ihre Körper ihrer aller Todesursachen. Aber im Gegensatz zu den anderen Masthühnern, die nicht das Glück einer Befreiung hatten, erlebten sie, was diese nie erlebten: ein echtes, glückliches und „langes“ Leben.

Adie, Zacke Wiesengrün.