Abschied von Maria

Manche tödliche Gefahr ist winzig klein und kommt als Bakterium. Manchmal versagt einfach ein Herz. Und manchmal kommt die Gefahr auf Flügeln.

Maria… sie wurde wahrscheinlich Opfer eines Greifvogels. Es gab keine Spuren, die darauf hindeuteten, dass sie durchs Gelände gejagt wurde. Dass sie versucht hat, zu flüchten. Sie muss völlig unvorbereitet gestorben sein, vielleicht tief beschäftigt damit, das Laub unter dem Baum, wo wir sie fanden, auf der Suche nach Schätzen umzugraben. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob sie vielleicht sogar dort eines anderen, körperlichen Todes starb und im Nachhinein „Beute“ wurde, oder ob ein Greifvogel sie dort erwischte und sofort tötete.

Maria war schon länger anders als die anderen, jedoch ohne dabei „diagnostizierbar krank“ zu sein. Trieb sich oft alleine draußen herum, brauchte immer eine Extraeinladung, abends ins Haus zu kommen, wenn die anderen schon längst ungeduldig auf ihr Abendessen warteten. Ob es am Ende ihre spezielle Art, doch eine Erkrankung oder einfach das Unglück war, zur falschen Zeit am falschen Ort draußen gewesen zu sein, werden wir nie erfahren.

Anderthalb Jahre lebte sie nun zusammen mit anderen geretteten Hühnern im Land der Tiere. Bevor wir sie kennenlernten, war sie eine Henne, die niemals im Leben Sonne sah, lebte zusammen mit vielen Tausend anderen Hühnern in einem „Bodenhaltungsbetrieb“. Als sie „zur Produktion von Bruteiern nicht mehr gut genug“ war, konnten Tierschützer*innen sie vor der Schlachtung retten. Dass sie immerhin noch anderthalb Jahre Huhn sein konnte, mit der Möglichkeit, im Laub unter Bäumen nach Schätzen zu suchen, war ihr großes Glück – und am Ende vielleicht auch Verhängnis. Wir sind uns sicher, sie hätte ihre gewonnene Freiheit, die sie in vollen Zügen genoss, niemals eintauschen wollen gegen ein Hühnerleben wie das, was sie vor ihrer Rettung führte. Auch nicht gegen einen goldenen Käfig, der ihr die Bäume und das Laub darunter und ihre Selbstbestimmtheit genommen hätte.

Das Foto entstand kurz nach ihrer Rettung, als sie ihre persönliche Welteroberung startete.

Adieu, Maria.

Abschied von den Damen Wiesengrün

Wir wurden ein bisschen die Mütter, die sie nie hatten.

Sechs flauschige, winzige, piepsende, Vögelchen, die eigentlich unter den schützenden Flügel ihrer echten Mütter gehört hätten. Die hatten sie jedoch nie – also nie kennengelernt. Stattdessen saßen sie in dieser Mastanlage, um möglichst schnell dick zu werden. Todgeweihte Babys.

Denn eigentlich wurden sie „als Masthühner produziert“. Ihr Leben begann im Februar 2020 im Brutschrank einer Brüterei. 700 Millionen Küken werden so pro Jahr in Deutschland ausgebrütet und nach dem Schlüpfen in riesengroße Mastanlagen mit durchschnittlich 41.000 Hühnerküken „eingestallt“ und gemästet. Als Masthühner wären sie nach 29-42 Tagen Existenz geschlachtet worden – also noch als Babys. Masthühner wiegen dann bereits bis zu zweieinhalb Kilo, falls sie die Mast und ihr immenses Wachstum überhaupt überlebt haben.

Greta, Giesela und die anderen vier Wiesengrüns waren gerade ein paar Tage alt, als wir sie kennenlernten. Zufällig ausgewählte Wesen aus einer unfassbaren Masse tausender laut piepsender, ängstlicher Küken. Sechs aus 41.000, die das unwahrscheinliche Glück, nach ein paar Tagen die Mastanlage verlassen zu können – um das zu erleben, was für Tiere wie sie nicht vorgesehen ist: einfach ein echtes, glückliches Hühnerleben bis ans natürliche Ende ihrer Tage zu haben. Durch grüne Wiesen laufen, in der Sonne liegen, Sandbäder nehmen, herumscharren, entdecken können, Freundschaften zu schließen, erwachsen zu werden.

Wir wurden ein bisschen die Mütter, die sie nie hatten. Schon als Winzlinge mochten sie es, auf unseren Beinen und Schultern herumzusitzen. Kamen auf Zuruf. Genossen Streicheleinheiten. Waren neugierig, voller Vertrauen, Tatendrang und Lust, zu leben. Wir freuten uns über jeden Quatsch, den sie machten, über alles, was sie lernten, was sie genossen und waren glücklich, ihnen beim Erwachsenwerden zuschauen zu dürfen. Waren überglücklich, dass keines der Küken früh an den Folgen der „Mastgenetik“ starb.

Aus den winzigen Küken wurden zwei Mädels und vier Jungs. Mit dem Erwachsenwerden zogen aufgrund von „Jungsstreitigkeiten“ drei der vier Wiesengrünherren zu Pute Emily und Familie Dr. Hasenbein um. Die Mädels blieben mit ihrem „Lieblingshahn“ zusammen. Leider auch nicht für immer, weil er mit zunehmendem Alter und Wachstum so schwer wurde, dass seine „Liebesdienste“ an den Damen nicht mehr verletzungsfrei blieben. Nach einem weiteren Umzug, weiteren Hahnenstreitigkeiten, die damit endeten, dass wir alle Hähne voneinander trennen mussten, landeten dann letztendlich die Damen Wiesengrün bei Emily und Hasenbeins.

Es sollte ihr letzter Umzug werden. Lange lebte die gemischte Gruppe fröhlich und friedlich zusammen in der Alten Wache. Aßen Klee um die Wette, teilten ihre Äpfel und Möhren, gingen viel spazieren. Untereinander waren Greta & Giesela immer das, was man „ein Herz und eine Seele“ nennt und immer zusammen unterwegs. Und dann erwischte es Giesela, einfach so beim Spazierengehen. Völlig unvorbereitet, ohne Vorwarnung durch Krankheit, starb Giesela. „Eines natürlichen Todes“, könnte man sagen, sofern es für ein Huhn „natürlich“ wäre, nicht einmal drei Jahre alt zu werden.

Für Hühner wie die Wiesengrüns, auf maximale „Mastleistung“ gezüchtet, sind knappe drei Jahre Lebenserwartung jedoch sehr viel mehr, als wir bei ihrem Einzug zu hoffen gewagt hatten. Die meisten dieser Hühner sterben viel früher. Ihre Knochen versagen – und wenn nicht die, dann ihr Herz-Kreislaufsystem. Plötzliche Todesfälle wie z.B. durch geplatzte Schlagadern sind leider bei solchen „Mast“-Hühnern „normal“.
Greta trauerte. Sie ohne Giesela, irgendwie ging es überhaupt nicht. Nach ein paar Tagen waren wir so froh, dass sie endlich wieder unternehmungslustig wurde, sich mit Hasenbeins herumtrieb, spazieren ging, herumscharrte. So wie an diesem Mittag, ganz fleißig, auf der Suche nach was auch immer ein Huhn sucht im Boden. Nachmittags ging Greta dann Richtung Wache, Richtung Abendessen und Bett. Sie fiel einfach an der Hausecke um und starb, bevor sie ihr Ziel erreichte.

Zwei, die „genetisch gleich“ waren. Zwei beste Freundinnen. Auch unsere.

Adieu, Mädels.

Abschied von Emil

Niemand weiß, wie viele Millionen Kaninchen grade bei den sogenannten „Kaninchenzüchtern“ in ihren winzigen Ställen und Buchten hocken. Einsam, jeder normalen Lebensmöglichkeit beraubt, als Zucht-, Mast- und Ausstellungstiere, bis der Tag kommt, an dem ihre „Besitzer“ den Hauklotz neben den Stall stellen und sie schlachten. Emil hatte das Glück, dass der alte Mann, in dessen Kaninchenstall er neben noch drei anderen Überlebenden saß, dem Rest einer jahrzehntelangen Kaninchenzucht, krank wurde.

Die Enkelin des kranken Kaninchenzüchters ergriff im Juli 2018 die Chance, das Leiden der eingesperrten Tiere endlich zu beenden und bat im Land der Tiere um einen Platz für die Kaninchen. Denn mit „Liebe zur Natur“, „sinnvoller Freizeitgestaltung“, „verantwortlichem Handeln gegenüber dem Mitgeschöpf“ und allem anderem Beschönigendem, was Kaninchenzüchter über ihr „Hobby“ sagen, hat Kaninchenzucht nichts zu tun. Unterm Strich bleibt millionenfache Tierquälerei, die Opfer ohne Leben.

Emil und seine „Mitgefangenen“ – zwei Schwestern und ein Bruder – ging es auch gesundheitlich schlecht: Nicht nur starker Ohrmilbenbefall plagte sie. Emil brachte eine wahrscheinlich zuchtbedingte Augentrübung mit, die seine Sehfähigkeit beeinflusste, aber ihn nie davon abhielt, zu tun, was er wollte: Kaninchen sein. Herumflitzten, buddeln, chillen, kuscheln, mit dem Bruder zanken. Emil überlebte trotz seiner „Baustellen“ seine drei Geschwister, die wie er alle an typischen „Mastkaninchenproblemen“ litten: Herzprobleme, Rückenprobleme, Pododermatitis, dazu noch chronischer Schnupfen und diverses mehr.

Emil ließ sich durch nichts beirren, lebte zufrieden in einer größeren Gruppe Freilaufkaninchen. Nach dem Tod seiner Schwestern, mit denen er ein sehr inniges Verhältnis hatte, gehörte zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, sich mit seinem Bruder Oscar zu streiten. Und sich wieder mit ihm zu versöhnen. Nach Oscars Tod kümmerte sich Emil liebevoll um die Freundinnen seines Bruders. Zu unserem Erstaunen wurde ausgerechnet die eher kratzbürstige Frau Heinrich Oscars beste Freundin. Die beiden kuschelten. Kuschelten. Und kuschelten. Bis zu Emils letztem Tag.

Emils Körper kapitulierte am Ende. Seine Rückenprobleme wurden unumkehrbar so dramatisch, dass er seine Lauffähigkeit verlor. Wir konnten nichts mehr für ihn tun, außer ihn einschläfern zu lassen. Emil starb in Alter von viereinhalb Jahren.
Adieu, Emil.

Abschied von Hummel

Vielen bleibt leider nur wenig Zeit. Umso wichtiger, dass diese Zeit eine gute Zeit ist.

Ein dunkler, verdreckter Taubenschlag eines „Kleintierzüchters“, darin Kaninchenstall an Kaninchenstall, die Buchten so klein, dass die Kaninchen, die zur Zucht und Schlachtung dort einzeln eingesperrt waren, sich nicht einmal komplett aufrichten konnten. Das war das Leben von Hummel und 11 anderen Kaninchen aus dieser Haltung, die alle das Glück hatten, im Sommer 2021 ins Land der Tiere einziehen zu können. Diese Ställe und die dortige „Schlachtkaninchenzucht“ wurden Vergangenheit, weil der Kaninchenbesitzer aus dem Krankenhaus nicht mehr zurückkam.

Die erste Zeit im Land der Tiere verbrachte Hummel zusammen mit ihrer Mutter Helga und ihren winzigen jüngeren Geschwistern, die sie liebevoll mitbetreute und bekuschelte. Hummels Geheimnis, wie auch immer sie es schaffte, die Kleinen nicht bei ihren Aktivitäten „über den Haufen zu hoppeln“, hat sie uns nie verraten. Bei uns schaffte sie das. Das Umstellen von Möbeln in ihrem Zimmer führte jedoch zu Kollisionen. Hummel war blind, unklar ob genetisch bedingt oder durch eine frühe Infektion. Sie meisterte trotzdem ihre Wege, hoppelte mit dem Kleinen fröhlich rein und raus zwischen Zimmer und Außengehege.
Als ihre Geschwisterchen dann so groß waren, dass es Zeit wurde, den Rest der Familie wiederzutreffen und mit ihrem Vater und ihren gleichaltrigen Brüdern zusammenzuziehen, war es nicht leicht für Hummel, sich neu zu orientieren. Die Kaninchenfamilie fand ohne Probleme schnell zusammen und Hummel kam wunderbar mit den Jungs klar. Doch eines machte ihr Probleme: Die Tür nach draußen. Sie misstraute der Sache. Und während alle anderen fröhlich draußen auf der Wiese und um die Bäume hoppelten, saß Hummel in der Tür und bewegte sich keinen Zentimeter raus. Die Hoppel-Luke in der Wand war ihr zu suspekt. Statt der Möhrenspur zu folgen, die wir ihr täglich nach draußen auslegten, um sie zu locken, trainierte Hummel, sich so lang zu machen, dass sie sich möglichst viele Möhrenstücke von außen nach innen hangeln konnte.

Wir wussten, sie schafft es irgendwann. Und es war so. Hummel sah bzw. roch und hörte sich alles über drei Wochen lang an. Vielleicht übte sie heimlich. Und dann ging sie eines Morgens einfach raus, als ob es ihr plötzlich selbstverständlich wäre. Ging jeden Weg etliche Male hin und zurück, um sich Wegmarken einzuprägen. Unfassbar schnell hatte Hummel dann ihre Landkarte im Kopf. Hoppelte vergnügt mit den anderen herum, wuselte hin und her und war oft morgens die Erste, die rausflitzte, sich draußen eine Möhre schnappte und damit an einem sicheren Ort unter irgendeinem Strauch verschwand.

Ihre Möhren konnte sie so sichern. Ihr Leben leider nicht. Riesenschecken leiden sehr häufig unter vielfältigen genetischen Problemen und Krankheiten, die ihre Lebenserwartung enorm verkürzen. Denjenigen, die sie züchten, ist es wohl egal. Es ist für sie nicht relevant bei Kaninchen, die gezüchtet und früh geschlachtet werden. Für die Kaninchen selbst ist es relevant. Hummel war gerade erst zwei Jahre alt, als ihr Herz in der Nacht versagte.

Adieu, Hummel.

Abschied von Emma

Über sechs Jahre hat Emma zur Land der Tiere-Familie gehört. Und uns ihr Lächeln hiergelassen.

Emma wurde vor dreizehneinhalb Jahren als „Herdbuchzuchtschaf“ geboren. Für sie kam es dann zum Glück anders als geplant: Emma wurde kein „Nutztier“, musste nicht für Nachkommen einer „vom Aussterben bedrohten Haustierrasse“ sorgen. Emma wurde einfach ein Schaf. Ein glückliches Schaf.

Lange Jahre lebte sie zusammen mit ihren Geschwistern in ihrem ersten Zuhause. Dann hätte ihr friedliches Leben beinahe doch ein schlechtes Ende genommen, als ihre Besitzerin sie aus privaten Gründen abgeben musste. Es gab viele Angebote für Emma und ihre Geschwister. Aber es gab kein Angebot, welches garantiert hätte, dass Emma und die anderen einfach weiterleben, für sich selbst, um Schafe zu sein.

Emma und ihre Geschwister hatten noch einmal großes Glück: Sie zogen ins Land der Tiere ein. Emma war immer die Mutigste oder vielleicht eher Zufriedenste der Truppe. Mit zunehmendem Alter schwanden Emmas körperliche Fähigkeiten. Schon lange gehörte sie zu den Dauerpatientinnen: Ein Rückenproblem und fortschreitende Arthrose machten Emma zu schaffen. Dank entzündungshemmender und schmerzstillender Medikamente konnte Emma mit den anderen Schafen mithalten, mit ihnen herumziehen – ein trotzdem zufriedenes Schaf unter anderen Schafen sein.

Für Emma kamen dann leider noch mehr Altersprobleme hinzu. Als sie erblindete, war die erste Zeit der Gewöhnung an diesen Zustand schwer. Doch Emma orientierte sich schnell neu und konnte trotz allem ein fast normales Schafleben führen. Wenn sie bei den anderen war, sich sicher fühlte, war alles gut. Es änderte sich, als die alte Emma zu allem dazu auch noch dement wurde. Wir kannten diesen Zustand leider bereits von ihrem Bruder Ferdinand, der am Ende seines Lebens oft vergaß, dass er neben den anderen Schafen stand. Und dann mit den alten Knochen einfach loslief, um die anderen zu suchen. Laut rufend, und ohne menschliche Hilfe die anderen Schafe auch nicht wiederfand.

Emmas letzte Zeit war schwierig. Dass sie diese Zeit gemeistert hat, ohne sich aufzugeben, hatte sie vielleicht ihrer positiven Lebenseinstellung zu verdanken. Emma lebte einfach mit ihren vielen Altersproblemen, und wenn sie „verloren ging“, ließ sie sich dankbar von uns wieder „einsammeln“, bis sie wieder glücklich zwischen den anderen Schafen war. Gegen ein Problem jedoch war sie chancenlos. Ihre alten Knochen versagten endgültig ihre Dienste, beendeten Emmas Glück und ihr Leben. Der Tag war da, an dem wir akzeptieren mussten, dass wir ihr nur noch eine letzte Hilfe leisten konnten. Emma Zuhause einschläfern zu lassen, war das Einzige, was wir noch für sie tun konnten.

Ihr Lächeln? Hat Emma für immer hiergelassen.

Adieu, Emma.

Abschied von Isa

Es war ein Morgen wie immer. Wie immer ging Isa mit den anderen bei Sonnenaufgang raus. Wie immer flügelschlagend nach der Nacht, laut rufend in den Tag, entspannt eine Runde grasen gehen, den Kopf zusammen mit den anderen in den frischen Wassereimer stecken, eine Runde schwimmen im Teich. Alles mit der gewohnten Isa-Ruhe.

Isa war immer „nett“, niemals frech mit den anderen Gänsen oder angriffslustig gegenüber Menschen – ganz im Gegensatz zu ihrem Gefährten Toni, mit dem zusammen sie vor fast auf den Tag genau vier Jahren ins Land der Tiere einzog. Isa folgte Toni auf Schritt und Tritt, und das obwohl Toni phasenweise alles andere als nett mit ihr war. Erst im Lauf der Zeit wurde uns klar, dass die beiden nie ein echtes Paar waren. Wie auch, die beiden hatten es sich nicht ausgesucht, zusammen zu leben. Wären sie wild und flugfähig gewesen, sicherlich hätte Isa es vorgezogen, loszufliegen und irgendwann irgendwo einen netteren Ganter zu treffen. Wenn Toni statt Isa eine der anderen Gänse nervte, machte sie einen ziemlich frohen Eindruck. Ging mit einer anderen Gans schwimmen und genoss es.

An dem Morgen hätten wir nie gedacht, dass es Isas Letzter sein könnte. Es war wie immer. Auch mittags war alles wie immer, wo alle Gänse um den Teich herumliegen, den Kopf weich unter einem Flügel gebettet – und Mittagsschlaf machen. Sich nicht einmal stören lassen, wenn ein Mensch längsläuft. Gänsen sagt man nicht umsonst nach, sie seien die „besseren Wachhunde“: ohne angeschnattert zu werden sich Gänsen zu nähern ist fast unmöglich. Nur nicht, wenn sie Mittagsschlaf machen.

Zum Abendessen erschienen – unter lautem Geschnatter – nur fünf Gänse. Isa fehlte. Wir fanden sie. Gestorben ohne jede Vorankündigung, Krankheit oder fremde Gewalteinwirkung, als ob einfach ihr Herz auch für sie überraschend versagt hätte.
Isa wurde 14 plus x Jahre alt. Wann sie schlüpfte, ist unbekannt. Gezüchtet wurde sie wie alle „Hausgänse“ als „Mastgans“. Isa hatte das Glück, gerettet zu werden, was ihr ermöglichte, ganz Gans sein zu können. Eine sehr nette Gans.

Adieu, Isa.

Abschied von Anna

Bis zu ihrem Rettungstag im April 2017 war Pute Annas Leben geprägt von Stress, Enge und Misshandlung. Sie war ein namenloses, ausgebeutetes Wesen inmitten unzähliger anderer Leidensgenossinnen in einem Putenzuchtbetrieb, nur existent, um Eier für die Mastputenproduktion zu legen, bis sie nicht mehr effizient genug sein würde. Zwangsbesamt, geschunden, hoffnungslos. Annas Leben endete nach nicht nach anderthalb Jahren im Schlachthof. Für sie hieß es: Lebenshof statt Schlachthof!

Als Anna ins Land der Tiere einzog, war ihr Zustand schlecht. Fußprobleme, Verletzungen durch Zwangsbesamung und Stalltechnik, Bakterielle Infektion, Pilzbefall – die „normalen Probleme“, unter denen Puten aus Zuchtfabriken leiden. Da war sie nun: Anna mit ihrem furchtbar verstümmelten Schnabel. Anna, die schon nach ein paar Tagen in ihrem Quarantänezimmer versuchte, vorsichtig durchs Fenster nach draußen zu schauen, dahin, wo sie nie war.

Als sie endlich loslaufen konnte, draußen sein, zusammen mit anderen Puten durch die Gegend streifen, Dinge entdecken, Wind und Sonne im Gefieder haben konnte, war alles gut für Anna. Sie genoss es einfach, jemand zu sein, der die Freiheit hat, sich durch eine frische Wiese zu grasen, Freundschaften zu pflegen und Pute zu sein.

Wir lernten von Anna im Lauf der Jahre unfassbar viel. Nicht nur, was Puten tun, wenn sie die Möglichkeit und Freiheiten haben, ihre Tage selbst zu gestalten. Wir lernten viel über Putensozialverhalten. Viel darüber, wie „schräg“ Puten sein können. Wie konsequent.

Annas Konsequenz, wenn es darum ging, ihr menschliches „Putzpersonal“ daran zu hindern, ihr Zimmer sauberzumachen. Oft bedeuteten ihre Bisse ins Arbeitsgerät nur, dass sie anderes von uns wollte. Gestreichelt werden zum Beispiel. Zumindest ließ Anna dann meist von aggressivem Verhalten gegenüber Schaufel und Besen ab: wenn sie stattdessen eng an „ihren“ Menschen gekuschelt – davon hatte sie viele – gestreichelt wurde. Allerdings konnte man sich darauf nie verlassen, dass sie es wirklich so meinte. Das gab dann blaue Flecke und Löcher in Armen und Beinen, Rückzug war dann angesagt. Fünf Minuten später konnte sie fröhlich und friedlich ankommen, sich zärtlich anschmiegen, so nah und vertraut, dass sie beim Kraulen einschlief.

Wir lernten auch von Anna, gute Nerven bei der Vergesellschaftung von Puten zu haben. Und große Handtücher und viel Zeit. Denn im Umgang mit anderen, fremden Puten war sie ähnlich ruppig wie sie mit Menschen sein konnte. Anna lehrte uns, dass weibliche Puten sich genauso aufblasen können wie männliche Puten, mit voll aufgeblasenen Luftsäcken, die Pofedern nach oben wie ein Pfau, rot im Gesicht, unter eindeutigem Kampfgeschnatter und mit viel „Pffft!“ ging sie erst einmal auf so ziemlich jede fremde Pute zu, egal ob Henne oder Hahn. Was die meisten nicht witzig fanden und entsprechend ebenso unfreundlich reagierten. Anna schaffte es sogar, zu Jodeln wie ein Puter.

Anna hatte im Laufe der Jahre viele verschiedene Puten um sich herum. Meist welche, deren noch schlimmer überzüchtete, schwere Körper so wenig fürs Leben gemacht waren, dass sie kein langes Leben haben konnten. Anna überlebte so viele, wurde älter und älter, unverhofft alt, lebte nach jedem kämpferischen Kennenlernen friedlich mit so vielen verschiedenen Puten zusammen, kuschelte sich nachts mit den anderen ins weiche Strohbett, Seite an Seite, ganz nah, ganz friedlich.

Anna starb Ende August 2022 im Alter von etwa sechseinhalb Jahren.

Adieu, Anna.

Abschied von Frau Dr. Hasenbein

Manche werden immer da sein, auch wenn sie nicht mehr hier sind.

Als wir vor drei Jahren zu einer „schlechten Ziegenhaltung“ zwei Dörfer weiter gerufen wurden und hinfuhren, sahen wir als Erstes die gammeligen Kaninchenställe vorm Haus. Und bevor wir überhaupt auf dem Grundstück waren, war klar: Diese Tiere werden nicht dort bleiben. Zwei Kaninchenmütter, eine schon getrennt von ihren Kindern, alle in winzigen Holzbuchten, eine Mutter mit mickrigen, dehydrierten, todkranken Babys. Die anderen waren schon gestorben. Futter und Wasser: gab es nicht. Wann dort das letzte Mal saubergemacht wurde, war nicht mehr ersichtlich. Kot und Urin von Monaten in den Ställen.

Das Veterinäramt war kurz vor uns bei dem Haus. Und ging unverrichteter Dinge wieder, weil niemand auf das Klingeln reagierte. Wir gingen rein, sprachen mit der „Besitzerin“, die angab, eigentlich gar nicht die Besitzerin zu sein, überfordert und mittellos, weder „einsichtig“ noch „schuldbewusst“. Die Tiere müssten wahrscheinlich eh weg, der Nachbar hätte schon angeboten, sie zeitnah zu schlachten.
Nach langen Gesprächen kam das heraus: Einvernehmlich mit der „Besitzerin“ gingen wir mit der Kaninchenmama mit den kranken Babys von Hof: „Mutti“ Hasenbein und ihren Kids. Die Fahrt ging direkt in die Tierarztpraxis. Und dank sofortiger Behandlung konnten wir bis auf eines der Babys alle retten.

In den Folgetagen holten wir die anderen Kaninchen. Alle. Die Enten. Und zwei Ziegen. Eine schwanger. Der Zustand aller Tiere: nicht gut. Auch Familie Dr. Hasenbein brachte gleich mehrere Probleme mit: Unter anderem chronischen Schnupfen. Vor allem die beiden Hasenbein-Mamas erwischte es immer wieder so stark, dass sie Dauerpatientinnen wurden und um Medikamente und Inhalation nicht herum kamen. Nach schlechten Wochen folgten gute Wochen, dann wieder schlechte Wochen. „Die kleine“ Hasenbein-Mama bekam in den vergangenen Wochen zusehends mehr Probleme, baute körperlich ab, trotz Behandlung, täglichen Inhalationen, trotz Spezialnahrung, trotz intensivster Betreuung. Und verlor trotzdem nicht die Lust, zu leben.

Dünn und krank wie sie war, war sie trotzdem immer dabei, zusammen mit ihrer Familie. Zusammen Hoppeln, zusammen Buddeln, zusammen Grasen, zusammen Kuscheln, zusammen Äste knabbern, die Umgebung im Blick behalten, sich gegenseitig vor Gefahren warnen, Haken schlagen – eben das, was Familie Dr. Hasenbein so macht. An ihrem letzten Tag beratschlagten wir noch Zuhause bei Familie Dr. Hasenbein mit ihrem Tierarzt, was wir noch Gutes für sie tun könnten, auch wenn es längst keine Hoffnung gab, dass sie noch einmal gesund werden würde.
Neue Medikamente für den nächsten Tag brauchte sie keine mehr. Frau Dr. „Mutti“ Hasenbein starb ohne besondere Vorankündigung in der Nacht.

Adieu, Frau Dr. Hasenbein.

Abschied von Wanda

Manche haben leider nur Hospizplätze gebucht. So wie Wanda.

Wandas genaues Alter war unklar, als sie vor einigen Monaten nach diversen „Besitzerwechseln“ ins Land der Tiere einzog. Vielleicht sechs oder sieben Jahre, vielleicht mehr. „Betagt“ auf jeden Fall für ein Kaninchen ihrer Größe. Ihr Pflege- und Ernährungszustand war sehr schlecht, als sie mit Kaninchen Leonore und zwei alten Meerschweinchen aus demselben Haushalt ins Land der Tiere einzog, viel zu dünn, mehr „Haut und Knochen“. Dass dafür nicht nur Parasitenbefall und unzureichende Versorgung, Zahnfehler und Ohrenentzündungen ursächlich waren, sondern beide weit mehr körperliche Probleme hatten, wussten wir da noch nicht.

Ihr Zustand verbesserte sich in kurzer Zeit derart, dass sie unverhofft bald in die „Rentner*innengruppe“ umziehen konnten. Und sich sichtlich wohlfühlte. Hoppelte, buddelte, sehr gut aß, toll aussah, mit den anderen kuschelte. Aus der ängstlichen, dürren Wanda wurde Wanda, die sich von einem ihrer neuen alten Mitbewohner, dem dementen Linus, abguckte, jeden Morgen beim Rauslassen aus ihrem Nachtgehege in ihren Garten an der Türschwelle einen Keks abzuholen. Und irgendwie auf diesen Keks bestand, bevor sie in den Tag startete.
Wanda überlebte ihre Freundin Leonore, die von Gebärmutter- und Lungenkarzinomen bis Ohren-, Lungen- und Leberentzündung so ziemlich „alles hatte“. Wanda überlebte auch Linus. Und dann fing sie selbst an, abzubauen. Wurde inkontinent. Immobil. Zuerst dachte sie nicht ans Aufgeben. Nach vielen Versuchen, ihr medizinisch und durch unseren „Extra-Service“ zu helfen, einigen Aufs und Abs, kam nun ihre körperliche und seelische Kapitulation. Wanda wurde Zuhause eingeschläfert, dort wo sie ihre letzten Lebensmonate sein konnte.

Adieu, Wanda.

Abschied von Keks

Was von Keks für immer bleibt sind ihre galaktischen Höhlen im Hang.

Keks und ihre Schwestern waren die letzten Verbliebenen einer „Schlacht“-Kaninchenzucht, wo sie in ihren winzigen Buchten hockten und ein kurzes Leben als Zucht- oder Masttiere verbringen sollten. Als der Kaninchenbestand des alten „Besitzers“ aufgelöst wurde, fehlten den örtlichen Tierschützerinnen noch Plätze für die letzten drei erst wenige Wochen alten Kaninchen: Keks und ihre Schwestern.

Gleich in der ersten Nacht im Land der Tiere schafften sie, was vor ihnen noch kein Kaninchen geschafft hatte: Sie waren am nächsten Morgen „weg“. Sie hatten sich jedoch nicht aus ihren Gehege herausgebuddelt, sondern saßen glücklich und munter in ihrer ersten selbstgebuddelten Höhle. Eine großartige Leistung für nur eine Nacht – und ein nahezu perfektes Bauwerk hatten sie geschaffen.

„Die Süßigkeiten“, wie wir Keks, Muffin und Brownie nannten, wenn wir alle meinten, zogen aus dem Quarantänegehege um in eine sicherere Freivoliere mit ordentlichen Fundamenten und großem Garten hinter Haus #1. Herausbuddeln unmöglich, so dass sie nachts wirklich in Sicherheit waren. Es dauerte nicht lange, und ihr Nachtquartier war eine Mondlandschaft mit Kratern und jedes Betreten unsererseits spannend. Hält der Untergrund? Kracht wer ein? Wir pflasterten die Voliere und hatten Ruhe.
Natürlich nahmen wir ihnen damit nicht die Möglichkeit, zu tun, was Kaninchen tun müssen: Buddeln und Höhlen bauen. Keks und ihre Schwestern konzentrierten sich von da an vor allem auf den Hang in ihrem Garten. Ein Graben mit zwei Hängen genauer. Was die Möglichkeiten von Grabungen verdoppelte: Keks und die anderen nutzten sie voller Enthusiasmus. Die Ernsthaftigkeit von Keks übertraf allerdings noch weit die der beiden anderen. Vielleicht lag es daran, dass sie die Chefin war – oder war aus diesem Grund die Chefin.

Zur Tagesbeschäftigung der Menschen gehörte fest: Kekslöcher kontrollieren. Und „stopfen“. Gefühlte Kilometer Schächte, Gänge und Höhlen haben wir mittlerweile aufgebuddelt und verfüllt. Und garantiert nicht einmal die Hälfte gefunden. Wer den Hang von Weitem betrachtet kommt nicht umhin, zuerst Gedanken an eine äußerst aktive Erdmännchenkolonie zu haben, die dort ihr Habitat hat. Nein, nur drei Süßigkeiten haben diese unglaubliche Leistung erbracht.

Die Löcher werden für immer bleiben. Nachfolgende Kaninchen immer mal wieder einen der alten Gänge neu in Betrieb nehmen. Ob sie sich fragen, wer dort wohl so meisterlich gebaut hat?

Keks überlebte ihre Schwester Muffin nur einige Wochen und starb im Alter von vier Jahren. Wir haben sie ohne pathologische Untersuchung beerdigt, weil ihre Untersuchungsergebnisse aus der Pathologie wahrscheinlich ähnlich denen ihrer Schwester gewesen wären. Keine ansteckenden Krankheiten, sondern eine Vielzahl organischer und letztlich tödlicher Probleme, die man eigentlich bei eher alten Tieren erwarten würde. Die zur Mast gezüchteten Kaninchen sind mit vier Jahren „alt“. Ihre Körper optimiert zu Mast- und Zuchtzwecken, nicht für ein langes Leben. Dass ihre Bedürfnisse und Gedanken ganz die wilder Kaninchen sind … das zeigen uns Kaninchen wie Keks mit ihrer unglaublichen Energie und der Freude am Kaninchensein.

Adieu, Keks.