Abschied von Wilma

„Welche Zukunft steht ihr bevor?“ fragten wir uns. Welche Zukunft steht zwei Zwerghühnern bevor, die bei Ebay „zusammen für fünf Euro“ angeboten werden, weil sie wegen umzugsbedingter Aufgabe einer Tierhaltung „schnell wegmüssen“? Wir hatten eine Vorstellung. Und boten spontan an, die Hühner kostenfrei zu übernehmen. Wilma & Sprotte, Mutter und Tochter. Sie zogen Weihnachten 2020 ins Land der Tiere ein. Ein traumhaftes Duo, grundverschieden.

Wilma hatte klammheimlich zwei Jahre zuvor das Ei ausgebrütet, aus dem die kleine Sprotte schlüpfte. Wilmas Halter dachten schon, Wilma sei „weg“, als sie irgendwann nicht mehr auftauchte. Als sie wieder auftauchte, kam sie nicht alleine, sondern mit ihrem Küken um die Hecke. Es passte zu Wilma. Wilma, der unauffälligen, aber immer mit einem gut durchdachten Plan unterwegs. Dank ihr wurde ihre Tochter eine großartige Persönlichkeit, eine, die sich alles Gute vom Leben mitnimmt und seit ihrem Einzug – so klein sie ist – Chefin einer Putengruppe ist. Ernsthaft.

Bei Wilma erkannten wir früh gesundheitliche Probleme. Auch als Zwerghenne legte sie ziemlich viele Eier – auch Zwerghennen sind dazu gezüchtet, möglichst viele Eier zu legen, was früher oder später gesundheitliche Schäden zur Folge hat. Die erste Legedarmentzündung bekamen wir schnell in den Griff. Die zweite schon nicht mehr so schnell, aber Wilma kam wieder auf die Füße und konnte ihr Ding machen, zusammen mit der frechen Sprotte die Putencrew um Puter Gustav mit ihrem Charme bereichern. Damit es so bleiben würde, befreiten wir sie mittels Hormonimplantat vom Eierlegen. Kurz darauf die nächste Katastrophe: sie hatte wieder den Bauch dick geschwollen, war voller Schichteier. Ein lebensbedrohliches Problem, an dem viele Hühner sterben.

Wilma schaffte es wieder, obwohl das Röntgenbild gesagt hatte, dass sie eigentlich keine Chance hat. Mit Medikamenten und Hormonen, alles war wieder soweit okay in ihrem Leben. Aber leider war absehbar, dass das nächste Problem bald kommen würde. Es kam nur ein paar Wochen später. Wieder wirkte Wilma müde. Zu einem nächsten Termin bei ihrer Tierärztin kam es nicht mehr. Wilma starb nachts in ihrem Bett, dass sie immer mit ihrer Tochter Sprotte geteilt hatte.

Adieu, Wilma.

Abschied von Spooky

Etwa 400 Eier hatte Spookys kleiner Körper produziert, als sie vor vier Jahren zu uns kam. 400 Eier, die sie bis ans Ende ihrer Kräfte gebracht hatten. Nicht nur das, sondern auch die Haltung in einem „Elterntierbetrieb“, wo sie zusammen mit 2000 anderen Hühnern in Bodenhaltung lebte, hatten sie in diesen furchtbaren Zustand versetzt: Spooky war fast nackt, sie war extrem blass, schlapp, sehr krank. Sie war nie draußen, war nie über eine Wiese gelaufen, hatte nie im Boden gescharrt, nie ein Sandbad genommen, nie Wind und Sonne gespürt. Es fiel schwer, bei ihrem Anblick nicht zu heulen.

Spooky war für die weitere Bruteierproduktion wertlos und normalerweise wäre sie durch Schlachtung entsorgt worden. Hühner wie sie haben nach kurzer „Nutzungsdauer“ in kommerziellen Haltungen keine Existenzberechtigung mehr: Sie werden getötet, weil sie dann „unprofitabel“ sind. Wir sagen: krank durch Ausbeutung. Und natürlich kümmert sich in solchen Haltungen niemand darum, dass ein Huhn wie Spooky doch überlebt. Überleben ist für solche Tiere nicht vorgesehen.

Spookys Körper brauchte lange, um sich zu erholen. Und dann kam nach ein paar Wochen endlich der Tag, an dem sie das erste Mal im Leben nach draußen konnte. Endlich über Wiese laufen, im Boden scharren, im Sand baden – und leben. Vier Jahre lang konnte sie es genießen, eine ziemlich lange Zeit für eine Henne wie sie. Denn auch die geretteten Hühner werden nicht sehr alt, zu sehr sind ihre Körper in Mitleidenschaft gezogen durch das, was ihnen angetan wurde, durch die Zucht auf extreme Eierproduktion.

Zwei wunderschöne Jahre konnte sie dank ihrer Rettung Huhn sein, zwei Jahre Seite an Seite mit ihren Freundinnen draußen herumlaufen und leben. die weiße Mat war ihre engste Verbündete bis zu Spookys letztem Tag. Spookys Tod kam plötzlich und unerwartet. Wir fanden sie nachmittags dort, wo sie glücklich war: draußen in einem von den Hühnern gerne genutzten Versteck unter einem Busch.

Adieu, Spooky.

Abschied von Kasimir Wiesengrün

Wir hätten nie gedacht, dass ausgerechnet Zacke Wiesengrün, der mit dem allerschwersten Körper, er, der hin und wieder unter Herz-Kreislaufproblemen leidet, der letzte Überlebende der sechs Wiesengrüns werden würde. Zacke berappelt sich immer wieder, jetzt gerade steht er draußen und zeigt den Nachbarinnen Hühnern, was er für ein toller Kerl ist. Ist er, ohne Zweifel. Und mit seinen nun über drei Jahren für einen geretteten „Mast“-Hahn ein biologisch uralter Mann. 300 Mal so alt, wie er eigentlich als „Mastküken“ nur hätte werden sollen.

Der geglaubte Anwärter, derjenige der Wiesengrüns zu werden, der am längsten lebt, war nach dem Tod der anderen vier Wiesengrüns, die im Lauf der Zeit an den Folgen ihrer schweren „Mastgenetik“ starben, Kasimir Wiesengrün. Kasimir, der einzige buntgetupfte der Wiesengrüns. Kasimir, der Kuschler. Der Genießer, der sich grundsätzlich nicht nur dazu setzte, wenn ein vertrauter Mensch in seiner Nähe saß, sondern sich auf den Menschen setzte. Er tat es als Küken gerne – und hat nie damit aufgehört. Er saß dann da und genoss es, gestreichelt zu werden, wie eine Katze.

Kasimir lebte, seit wir die Wiesengrün-Hähne trennen mussten, weil sie irgendwann als erwachsene Männer nicht mehr zusammenleben wollten, mit den Puten Jasmin, Jolanda und Claudius zusammen, in Gartengemeinschaft mit Familie Ostermann, mit der er vor allem seine Liebe für Äpfel teilte. Und ein bisschen mehr, denn oft lang er mit einem der Ostermänner draußen, ganz nah, beim gemeinsamen Mittagsschläfchen. Mit den Puten war er untrennbar, der kleine Kumpel, immer dabei. Jasmin und Jolanda hatten immer ein Auge auf ihn. Putzten ihn. Also was sie unter „putzen“ verstehen. Hinterher war er meist ein bisschen unordentlich, aber glücklich.

Ein paar Tage vor seinem letzten Tag ging es los. Kasimir hatte merklich Herz-Kreislauf Probleme. Wir hofften, er schafft es wie sein Bruder Zacke, über diese Phase gut hinweg zu kommen. Hofften, dass nicht der Tag bevorsteht, wo morgens beim Türaufmachen die drei Puten herausgestürmt kommen – aber nicht ihr kleiner Kumpel.

Der Tag kam, als kein Kasimir hinter Jasmin, Jolanda und Claudius zum Frühstück rausgelaufen kam. Kasimir starb friedlich nachts in seinem Strohbett. Nach einem tollen und langen Leben, welches er nie hätte haben sollen, wenn alles „normal“ gelaufen wäre. So hat er es geschafft, 300 Mal länger zu leben, mit vielen Freundschaften und Beziehungen.

Adieu, Kasimir Wiesengrün.

Abschied von Charlotte

Charlotte, Charlöttchen, manchmal auch „das Einsiedlerkrebschen“ genannt, war eines der ersten Kaninchen, welche in das noch neue Land der Tiere einzogen. Sie kam aus einer unglücklichen Privathaltung als Abgabe zu uns, lebte bis dahin in Wohnungshaltung. Wir ihre Halterin berichtete, verbrachte sie einen großen Teil der Zeit in der Couch. Also einem Loch unter der Couch, welches sie dort hineingebaut hatte, um dort versteckt ihre Ruhe haben zu können. Das passte zu Charlotte, dem „Einsiedlerkrebschen“.

Charlotte eroberte schnell das Land: als Freilaufkaninchen. Sie hatte echten Nachholbedarf an Durchdiewiesehoppeln, Löcher buddeln, unter Bäumen liegen, eben allem, was Kaninchen tun, wenn sie Kaninchen sein können. Ihre Spezialität zwischen den Aktivitätsphasen: herumliegen und schlafen an den allerbesten versteckten Orten. Sie zog ein paar Mal um, von Gehege zu Gehege, und überall ganz es einen Ort, der sich „Charlottes Lieblingsplatz“ nannte. Zuletzt unter einem Bauwerk aus Baumstämmen, über denen Tannenzweige ein tiefhängendes essbares Grün-Dach und ein sogar bei Regen trockenes Outdoorplätzchen bildeten. Von dort aus konnte sie alle und alles beobachten – und wurde meist selbst nicht gesehen.

Im Lauf der Jahre hat sie viele Kaninchen kommen und gehen sehen und hatte schon lange die Position als „dienstältestes Kaninchen“ im Land. Sie lebte immer in Gesellschaft chronischer Schnupfer. Die, die nie krank wurde, war immer Charlotte. Charlotte wurde älter und älter – und irgendwann auch ein bisschen senil. Ihren jeweiligen Partnern und anderen Gruppenmitgliedern war es egal, denn auch sie liebten Charlotte sehr. Charlöttchen, die Sanfte, die nie stritt. Ungewöhnlich für ein Kaninchen.

Manchmal schlief Charlotte so tief und fest an einem ihrer Lieblingsplätze, dass wir dachten „jetzt ist sie gestorben“. War sie aber nicht. Wir hätten uns für ihr Ende genau das gewünscht, am Lieblingsplatz zu liegen und einzuschlafen. Charlottes Leben endete nach kurzer, schwerer Krankheit, einer OP, die ihr auch nicht mehr half, nach ein paar Tagen mit stündlich schwindender Hoffnung in einer Tierarztpraxis, als es keine Hoffnung mehr gab.

Adieu, Charlöttchen.

Abschied von Caro

Vor drei Wochen erst haben wir sie kennengelernt, sie und die anderen Schafe, die zu den „Geretteten vom Deich“ wurden: Acht Schafe in furchtbarem Zustand, die auf ein abgelegenes Gehöft verfrachtet worden waren, um dort geschächtet zu werden. Polizei und Veterinäramt verhinderten, dass sie starben. Als wir sie abholten, standen sie noch an dem furchtbaren Ort, an dem sie hätten sterben sollen. 🐑

Sie war Haut und Knochen, die Rippen trotz Wolle sichtbar, keine Muskulatur, extrem blass. Eine derjenigen, denen es von Anfang an am schlechtesten ging, fast am Ende ihrer Kräfte. Obwohl sie wahrscheinlich die Jüngste war. Wenn wir von ihr sprachen, wegen Fütterung, Betreuung, Medikamentengaben usw., war sie „Das Klappergestell mit kahlem Auge und Babygesicht“, alle wussten dann, um wen es geht. Laut Akte Patientin 44039-44040. Die mit dem Babygesicht.

Kachexie und Anämie, dazu schwere Atemgeräusche. Sie war von Anfang an so schlapp, dass sie sich gleich nach dem Essen immer wieder hinlegte. Trotz medikamentöser Versorgung verschlechterte sich ihr schlechter Zustand in den letzten Tagen dramatisch. Sie „lag fest“, ihre Chancen, noch einmal aufzustehen, wurden von Stunde zu Stunde geringer. Da sie nicht vor ihrem Zustand kapitulierte, gaben wir sie nicht auf, trotz geringer Hoffnung. Hoffnung war doch das, was sie haben sollte seit dem Tag ihrer Rettung. Es war zu spät.

Vincent, einer der Menschen hier, der in den letzten Tagen auch oft bei ihr war, um ihr Essen und Wasser zu reichen, hat sie Caro genannt, damit sie nicht namenlos stirbt.

Adieu, Patientin 44039-44040. Adieu, Caro.

Abschied von 26780

In Trauer um jemanden, der wir vor einer Woche das erste Mal begegneten. Es blieb nicht einmal Zeit, ihr einen Namen zu geben.

Wir rechneten mit der Nachricht aus der Tierklinik, dass sie gestorben ist. Dabei hätte es doch der Beginn eines neuen Lebens werden sollten, aber es war zu spät für ihre Rettung. Ihr Zustand war so schlecht, dass wir sie, klapperdünn, dehydriert, kaum in der Lage zu stehen, vergangene Woche gleich nach ihrem Einzug ins Land der Tiere in die Tierklinik brachten. Wo alles versucht wurde, ihr Leben zu retten. Vergeblich.

Sie war jahrelang „Nutztier“, gefangen in einem Kreislauf von Vernachlässigung, Geburten, Krankheit. Der letzte Tierhändler, durch dessen Hände sie ging, brachte sie an einen grauenvollen Ort, an dem sie brutal geschlachtet werden sollte.
Immerhin das musste sie nicht erleben.

Am Ende bleiben Trauer – und Wut.

Und Hoffnung für die anderen. 26780 war nicht die Einzige, die wir von dem grauenvollen Ort holten.

Abschied von Emily

Die Spuren, die Emilys Körper beim Einzug ins Land der Tiere vor dreieinhalb Jahren trug, erzählten uns von dem, was vorher ihr Leben gewesen sein muss. Ein gutes Leben war es nicht: Ihre Fußballengeschwüre, ihr zerrupftes Gefieder, die „tierindustrietypischen“ Verletzungen am Rücken, ihre Traurigkeit und anfängliche Unfähigkeit, mit einfachen und eigentlich selbstverständlichen Dingen wie „Regen“ umzugehen, zeigte eindeutig, dass sie bislang ausschließlich im Stall gehalten wurde. Eine, die „Nutztier“ war – und es geschafft hatte, zu entkommen.

Emily legte Eier, viele Eier. Ihr Alter – für eine Mastpute war sie schon „viel zu alt“, denn diese werden geschlachtet, bevor sie annähernd erwachsen sind – sprach dafür, dass sie wahrscheinlich ein „Elterntier“ war.  Eine Mutter von Mastputenküken, die nie ihre Eier ausbrütete, nie die eigenen Kinder kennenlernte, künstlich von Menschenhand besamt wurde. Ihre Körperhaltung beim Auftauchen eines Menschen konnte Menschenherzen brechen. Wer nicht weiß, was Zuchtputen angetan wird, hätte es „putzig“ finden können. Für uns war es tieftraurig. Sie sah in uns „ihren Besamer“.

Wir sagten oft „alles gut, Emily, dein Besamer kommt nicht mehr“. Irgendwann vergaß Emily, was war. Sie schmiss sich nicht mehr vor uns hin, sondern kam freudig an, setzte sich neben uns. Auf uns. Genoss es unglaublich, gestreichelt zu werden. Wir führten viele vertrauliche Gespräche über wie wir uns das Leben vorstellen. Sie schlief dann oft einfach auf einem Menschenschoß ein, gluckerte süß träumend vor sich hin. Dazu gesellte sich dann häufig einer ihrer Vertrauten. Hahn Kasimir Wiesengrün zum Beispiel, der so lange ihr bester Freund war. Mit Emily das Bett teilte.

Emily hat in ihren Jahren bei uns viele Tiere kommen und gehen gesehen, Freundschaften geschlossen. Zu Puten, Hühnern und natürlich zu Familie Dr. Hasenbein. Oft lagen sie gemeinsam zum Mittagsschläfchen zusammen draußen, ganz nah beieinander. Bis vor einigen Wochen noch zusammen mit zwei weißen „Mast“-Hühnern, den Freundinnen von Emily. Als die beiden kurz hintereinander starben, trauerte Emily sehr. Emilys körperlicher Zustand – sie war schon lange Patientin aufgrund ihres für eine weiße große Pute sehr hohen Alters und ihrer Knochenprobleme – wurde noch schlechter.

Sie kämpfte schon seit längerer Zeit mit ihrem Körper. Einem Körper, 25 Kilo schwer, gezüchtet für die Fleischproduktion: für Putenbrust. Einem Gewicht fünfmal so hoch wie das einer Wildpute, einem unproportionierten Körper, wo das Gewicht so verteilt ist, dass ein Großteil des Körpergewichtes die Brustmuskulatur ist. So wie bei Emily, die genetisch so gebaut war, dass sie wegen dieses Muskels Übergewicht nach vorne hatte. Fehlstellungen des Skeletts in Folge. Einen Hüftschaden. Sie und wir lebten nun schon so lange mit dem Gedanken an den Tag, wo sie nicht mehr mobil sein würde. Nicht mehr laufen, am Ende nicht mehr aufstehen können würde.

Seit einiger Zeit schaffte Emily nur noch kurze Wege. Dass sie jemals wieder Spazierengehen würde, war ausgeschlossen. Ihr Körper ließ nur noch ein paar Schrittchen zu. Körner essen, Weintrauben naschen. In Emilys Weintrauben versteckten wir schon lange alle drei Stunden Schmerzmittel, damit sie ihre Schrittchen machen konnte. Körner suchen, Äpfel picken, Kuscheln konnte. Meist liebte sie es, hinterm Ohr gekrault zu werden. Und dabei Musik zu hören. Oder zu lauschen, wenn jemand ihr vorlas.

Im Winter holten wir sie ins Haus, damit sie bei offener Zimmertür immer in unserer Nähe sein konnte. Weihnachten lag sie dort. Hörte „Der Nüsse für Aschenbrödel“. Es sah so aus, als ob es ihr sehr gefallen würde. Drei Nüsse für Aschenbrödel, drei Äpfel für Emily. Und mit jedem Apfel rückte der Tag näher, an dem Emily nicht mehr aufstehen können würde.
Am Ende zeigten uns die Äpfel, dass es Zeit für den Abschied war. Emily mochte keinen Apfel mehr.

Adieu, Emily.

Abschied von Mrs. Bean

Mrs. Bean, für manche „Bohne“, andere „Böhnchen“ – oder auch „dicke Bohne“. Für ihr Dicksein konnte sie nichts, es war ihre „Mastgenetik“. Die Genetik, die sie Jahre ihres Lebens gekostet hat.

Mrs. Bean kam im März 2020 aus einem „Tiersammelhaushalt“ zu uns, als dort Dutzende Tiere aus Tierschutzgründen geräumt wurden. Ihre „Besitzerin“ führte einen angeblichen „Hundegnadenhof“, die Hunde lebten unter unfassbar schlechten Bedingungen. Auch viele Vögel hielt sie – darunter zwei Puten, für die bei der Räumung noch kein Platz gefunden war, wo sie unterkommen konnten. Mrs. Bean und ihre damalige Freundin Fräulein Schmittlauch zogen ins Land der Tiere ein.

Damalig, weil aus ihrer Freundschaft irgendwann Feindschaft wurde. Zuerst lebten sie zusammen als beste Freundinnen – und irgendwann verkrachten sie sich. Puten sind äußerst spezielle Wesen, vor allem die „menschenaffinen“ unter ihnen. Sie schaffen es, sich bis aufs Blut zu streiten: um die Gunst der von ihnen ausgewählten Lieblingsmenschen, manchmal ticken sie auch einfach durch, wenn eine jemand anderen anstänkert, das geht oft über in gegenseitiges Gestänkere.

Wir versuchten alle Tricks, um die beiden wieder zu vereinen und zu versöhnen. Ohne jeden Erfolg. Sie trennen zu müssen tat uns unglaublich leid, aber Beschädigungskämpfe unter Puten, noch dazu denen schwerer Rassen, können schnell ein übles bis tödliches Ende nehmen. Mrs. Bean zog zwei Zimmer weiter zu Pute Lotta und ihren Brüdern Kurti und Sputnik und den Hühnern. Alles harmonisch.

Nur mit Menschen blieb sie „wechselhaft“. Während sie von manchen Streicheleinheiten forderte und genoss, wurden andere vehement von ihr aus dem Garten verjagt. Lautstark und mit Bissen in die Beine. Je nach Tageslaune, Wetterlage oder was auch immer sie zu ihrem oft nicht vorhersehbaren Verhalten brachte. Viele unserer Sonntagsbesucher*innen haben sie kennengelernt, manche durften sie ausgiebig hinterm Ohr kraulen und ihr Gefieder streicheln, was sie sichtlich genoss. Bis sie jemanden erspähte, den sie nicht in ihrer Nähe dulden wollte. Geschnatter, Bisse. „Okay, Mrs. Bean möchte, dass wir schnell wieder gehen“. Dann gingen wir.

Ihren Körper im Verlauf der Zeit zu sehen, war traurig. Zu groß, zu schwer, zu fehlproportioniert. Mit zunehmendem Brustmuskelwachstum, auf das Puten wie sie eben gezüchtet sind, weil es genau „das Teilstück“ ist, was den Profit im Fleischgeschäft bringt, wurde ihr Körper untauglicher für sie. Die Körperhaltung beeinflusst durch diesen schweren Muskel, der aufrechtes Gehen zu erschweren begann. Ihre Beinstellung veränderte sich. Vogelbeine sind natürlicherweise so angeordnet, dass sie sich grade und mittig und nah beieinander unter dem Vogel befinden. Mrs. Beans Beine gingen immer mehr auseinander. Man hätte fast einen Fußball zwischendurch schießen können.

Was das mit Knochen, Gelenken und Hüfte macht, wissen wir längst. Und jede Veränderung der Körper- und Beinhaltung einer Pute zeigt uns, dass der Zähler für ihre Lebenszeit unaufhörlich tickt. Schnell tickt. Bereits im vergangenen Sommer zeichnete sich ab, dass es ihr letzter Sommer sein würde. Ein Sommer, in dem sie es genoss, mit den anderen draußen zu sein, herumzulaufen, Gräser zu picken, in Sand und Sonne zu baden, sich den Wind um die Federn wehen zu lassen, ein Mittagsschläfchen mit ihrer Freundin Lotta unterm Gartentisch abzuhalten.

Am Ende ging alles ganz schnell. Das Gewicht ihres Brustmuskels zog sie um. Von einem Tag auf den anderen konnte sie nicht mehr aufstehen. Die immer so eigenwillig und stark gewesene Mrs. Bean kapitulierte vor der Tatsache, ihre Selbstbestimmtheit verloren zu haben.

Mrs. Bean mit all ihren Liebenswürdigkeiten, Bissigkeiten und jeder Menge Lust, zu leben, gehörte drei Jahre zur Land der Tiere-Familie. Sie wurde im Februar 2023 im Alter von etwa vier bis fünf Jahren eingeschläfert.

Adieu, Mrs. Bean.

Abschied von Mupf

Als Mupf ins noch ganz neue Land der Tiere einzog, gab es hier nur zwei Schafe außer ihr. Zwei alte Herren, die wir lange kannten, bevor das Land der Tiere existierte – und ein Versprechen, dass es ihre Heimat für den Rest des Lebens sein würde. Mupf kam zur richtigen Zeit für die alten Herren. Die beiden hatten grade ihre geliebte Freundin und Vertraute verloren, ein kleines altes Schäfchen, welches den Herren immer jede Entscheidung abgenommen hatte. Die alten Herren waren tieftraurig und orientierungslos nach ihrem Tod.

Und dann kam Mupf. Verwahrlost, verdreckt, verfilzt und einsam und verlassen stand Mupf, Schafdame fortgeschrittenen Alters, zuvor auf einem Grundstück, wo nichts Essbares mehr wuchs – ein vergessenes Schaf, wo sich nicht einmal mehr jemand um die verlässliche Versorgung mit Wasser kümmerte. Es gelang ihrem Retter, sie dem Besitzer „abzuschwatzen“. Und den Ort zu finden, wo sie zusammen mit anderen Schafen in Ruhe alt werden kann: Das Land der Tiere. Im Sommer 2015 zog sie ein.

Mupf schloss sofort Freundschaft mit den beiden alten Schafherren, denen sie eine extrem treue Gefährtin wurde, die gutgelaunt jedes Problem der alten Orientierungslosen löste, ihnen Sicherheit gab, wie auch immer sie das machte. Sie wurde auch unsere Vertraute und Freundin. Es dauerte nicht lange, bis zu unseren Tagen gehörte, ihr samtiges Sommersprossengesicht zu streicheln. Es wird eines der Dinge bleiben, die wir nie vergessen werden: das Gefühl ihres Samtsommersprossengesichtes an den Fingern.

Vielleicht erinnert auch Kater Klaus das Gefühl, das von Sicherheit in ihrer Nähe, das des Samtgesichtes, an dem er so oft seinen eigenen Kopf anschmiegte. Als Klaus unfreiwillig im Land der Tiere strandete, hatte er keinerlei Vertrauen zu Menschen. Wir fanden ihn dann bei den Schafen, mit denen er das Bett teilte. Nicht nur das: er zog zusammen, Seite an Seite, mit Mupf und den alten Herren herum. Wahrscheinlich hat er was uns betraf einfach eine Weile geschaut: Die Schafe und die Menschen – ist es okay zwischen ihnen? Was sagt Mupf?

Vielleicht war sie so eine Art Sozialarbeiterin unter den Schafen. Nicht nur Klaus konnte sie erklären, dass alles gut ist. Über 30 Schafe zogen während Mupfs Zeit im Land ein. Vor allem am Anfang war sie immer diejenige, die „vermittelte“, die Neuen und die Alten zusammenbrachte und verband. Wenn Mupf „Hummeln im Po“ hatte und eigentlich an den „Spaßrennen“ der jüngeren Schafe teilnehmen wollte, überlegt sie oftmals, ob sie wirklich dafür die alten Herren verlassen soll. Sie tat es, hüpfte, wie Schafe in größtem Vergnügen hüpfen können – und war kurz darauf wieder bei ihnen.

In den letzten Monaten alterte Mupf zusehends. Vieles fiel ihr schwerer. Die alten Knochen und ein schweres Herzproblem dämpften ihre Energie. Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, da zu sein, wo sie sein wollte: zwischen den anderen Schafen. Sie zog zusammen mit ihnen herum, obwohl ihr die Wege Probleme bereiteten. Mit ein paar anderen alten oder kranken Schafen beim Stall zu bleiben und abzuwarten war für sie keine echte Option. Sie wusste ja eh selbst am besten, was gut für sie ist. Wenn sie mitwollte und konnte, sollte sie.

Der Tag, an dem sie nicht mehr können würde, rückte näher und näher. Mupf brauchte immer häufiger Aufstehhilfe. Als wir dachten, der Tag sei da, wo sie es nie wieder aus dem Stall schaffen würde, belehrte Mupf uns eines Besseren. Sie zog mit den anderen los, wirkte dabei bei aller Gebrechlichkeit zufrieden.

Es war ihr allerletzter Ausflug, ihre Abschiedsrunde.

Adieu, Mupf.

Abschied von Graunasenpunkt Ostermann

Als wir Ostern 2021 seine Mutter einfingen, die von ihrem „Besitzer“ beim Wegzug auf einem vermüllten Grundstück zurückgelassen worden war, wussten wir noch nichts von seiner Existenz. Drei Wochen später baute Frau Ostermann dann ein Nest. Sieben kleine Osterkinder kuschelten und brummten in dem Nest herum.

Er und seine sechs Geschwister hätten sich wahrscheinlich keinen besseren Ort aussuchen können, als den, wo sie geboren wurden. Aus den kleinen brummenden Kaninchenkindern wurden neugierige Flummis, die aus dem Nest hüpften und mit viel Elan in ihr Leben starteten. Gut behütet von Frau und Herr Ostermann – und uns. Als wir die Osterkinder das erste Mal „ganz rausließen“ in den Garten, außerhalb des sicheren Geheges, halfen wir ihren Eltern beim Aufpassen. Damit bloß keine „Naturgefahr“ den Kids schaden würde. Katzen zum Beispiel.

Alle sieben wurden groß. Auch groß war von Anfang an der Kuschelhaufen, den Familie Ostermann baute, wenn alle zur Mittagsruhe irgendwo unter den Bäumen neben- und übereinanderlagen und von ihm oft nur die Nase mit dem grauen Punkt herausschaute. Ansonsten war er schneeweiß, bis auf die Ohren und zwei Punkte auf dem Rücken. Nicht unüblich bei einem Sohn von gescheckten Eltern. Leider auch nicht ungefährlich.

Fast zwei Jahre lang war alles gut, wir kamen um alle durch die Genetik eventuell vorliegenden Probleme drumherum. Eines der möglichen Probleme: Eine Dickdarmerweiterung, einhergehend mit Verstopfung, schlimmstenfalls Darmlähmung. Wir waren sozusagen immer vorgewarnt, tägliche Kontrollen und angepasste Ernährung sind bei solch gefährdeten Tieren selbstverständlich. Als es bei Graunasenpunkt Ostermann anfing, waren wir erst noch guter Hoffnung, „nur“ ein Blasenproblem zu haben, ihm helfen zu können. Eine Woche mit täglichen Tierarztbesuchen folte. Es ging im sichtbar schlecht, er gab nicht auf, wir auch nicht.

Eine Chance hatten wir am Ende nicht. Er starb mit Darmlähmung.

Adieu, Graunasenpunkt Ostermann.